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ENTWEIHT

ENTWEIHT

Titel: ENTWEIHT Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Lumley
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für die Totensprache und sagte: »Jean Daniel, du mordgieriger französischer Bastard, wo zur Hölle bist du?«
    Auf Anhieb richtig, erscholl klar und deutlich eine klagende Stimme in Jakes Geist. Ich bin in der Hölle, Jake Cutter – wohin du mich schicktest. Auf einem Friedhof in Avignon, der Stadt, in der ich geboren wurde. Zumindest liegen dort meine Gebeine. Meine Beerdigung war eine stille Zeremonie, es kamen nur eine Handvoll Leute, um sich von mir zu verabschieden. Wahrscheinlich hatte Luigi Castellano sie angeheuert, denn über der Erde hatte ich keine Freunde, und darunter wohl auch nicht, wie es aussieht! Das ist es also, mein Schicksal: die Einsamkeit, Finsternis und endlose Stille des Grabes. ›Totenstille‹ – bis ich spürte, dass du da bist.
    Zunächst war Jake überrascht. Das Ganze war so unheimlich, dass er spürte, wie die Härchen in seinem Nacken sich aufrichteten. Doch dann fing er sich wieder. »Heißt das, du gewöhnst dich allmählich daran? An deine Lage, meine ich!« Da er nicht mit einer Antwort gerechnet hatte, fiel ihm nichts Besseres ein, um das Gespräch voranzutreiben.
    An die was? Meine Lage? In Jean Daniels Totenstimme schwangen Unglaube und Verwunderung mit. Mich daran gewöhnen?
    »Wenigstens hast du eine Möglichkeit gefunden, dich irgendwie fortzubewegen«, fuhr Jake rasch fort, »sonst wärst du ja kaum hier.«
    Mit einem Mal dämmerte es Jake, dass er und Korath wohl doch am falschen Ort waren. Wenn das Grab des Franzosen in Avignon lag, dann musste sein Geist ja wohl ebenfalls dort sein. Und doch sagten Jake seine sich rasch entwickelnden übersinnlichen Kräfte, dass Jean Daniel sich hier befand; er konnte ihn, seine Präsenz, regelrecht spüren.
    Mich daran gewöhnen?, jammerte Daniel abermals, seine Stimme ein bebendes Schluchzen. Höre ich mich etwa an, als hätte ich mich daran gewöhnt? Was denn, ans Totsein, du dämlicher Schwachkopf. Nein, habe ich nicht. Ich hasse es – den Friedhof in Avignon, diesen Ort hier, den ganzen verdammten Mist! Aber weil ich nun mal hier, in dieser lausigen Seitenstraße ums Leben kam, treibt es mich immer wieder hierher zurück. Die Bar dort drüben habe ich immer aufgesucht, und jetzt suche ich sie heim und spuke dort! Aber wenigstens weiß ich es, wenn ich mich dort befinde, auch wenn es sonst keiner ahnt. Aber was bringt es schon, dort zu sein … wenn ich doch gar nicht da bin? Ich kann weder sehen, hören, riechen noch etwas berühren oder schmecken, ich bin noch nicht einmal ein richtiges Gespenst – bloß irgendein Wesen, das durch die ewige Finsternis schweift. Mehr noch, ein Nichts. Selbst die Toten nehmen keine Notiz von mir. Und du fragst, ob ich mich daran gewöhnt habe? Du hast wirklich Sinn für Humor, du dummer, englischer Mistkerl! Und jetzt hau ab und überlasse mich meinem Elend! Mit deiner Gegenwart und dem Wissen darum, dass in der absolut lausigen Leere dieses Ortes ausgerechnet du, der Mann, wegen dem ich überhaupt hier bin, der Einzige bist, mit dem ich reden kann, der beschissene, verdammte Necroscope Jake Cutter höchstpersönlich, machst du mein Elend nur noch größer! Zur Hölle noch mal, warum konntest du nicht einfach sterben – du und deine russische Schlampe –, als wir deinen Wagen über diese Brücke in den Fluss stießen?
    Doch Jean Daniels Beleidigungen prallten an Jake ab, er war so fasziniert von dem Ganzen, dass er sie kaum mitbekam. Allerdings nahm er durchaus wahr, dass Daniel ihn als Necroscope bezeichnete. »Werde ich so genannt?«, fragte er. Denn noch immer war es ihm nicht bewusst. Noch immer war er nicht darauf vorbereitet, die ihm auferlegte Rolle einfach so hinzunehmen oder zu akzeptieren, selbst wenn die zahllosen Toten es wünschten. Was sie im Moment noch gar nicht taten.
    He, bist du taub?, wollte der Franzose nach einer Weile wissen. Bist du noch da? Was, zum Teufel, macht es schon für einen Unterschied, wie irgendjemand dich nennt? Dreckstück oder sonst irgendwie. Das bist du nun mal, Cutter: ein Necroscope! Der Necroscope: nichts als eine Made im Geist der Toten! In meinem zumindest. Also mach, dass du von hier verschwindest. Lass mich in Ruhe. Er hatte aufgehört zu schluchzen, doch seine Stimme klang nun wesentlich schwächer und ferner, es schien, als drängte Jean Daniels Totenstimme durch eine Reihe unterdrückter, immer leiser werdender Seufzer zu Jake, so als wäre Daniel im Begriff, rasch zu entschwinden.
    »Warte!«, sagte Jake eindringlich. »Ich muss mit dir

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