ENTWEIHT
Malinari, Vavara und Szwart auf der Sternseite flohen. Und weshalb starke Persönlichkeiten wie Ben Trask sie fürchten: Nun, sie haben weniger Angst um sich als vielmehr um die Schwachen dieser Welt, die an ebendiejenigen ›Prinzipien‹ glauben, von denen ein Mistkerl wie du nur faseln kann. Ebendarin besteht der große Unterschied zwischen mir und Trask. Was ich tue, tue ich für mich selbst, was er dagegen tut, geschieht um unser aller willen.«
Demnach bewunderst du ihn also?
»Was sonst? Wie könnte man jemanden nicht bewundern, der sein ganzes Leben der Wahrheit verschrieben hat? Und seiner Wahrheit zufolge liegst du falsch. Im Augenblick mögen wir zwar gezwungenermaßen so etwas wie Verbündete sein, aber glaube bloß nicht, dass du mich zu deinen verqueren ›Grundsätzen‹ bekehren kannst. Mit diesen will ich nichts zu tun haben.«
Bravo! ... Bravo! … Bravo!, flüsterte es in Jakes Geist wie von hundert Totenstimmen zugleich. Aber sie klangen schwach und entfernt und einige schienen sich ihrer Sache nicht ganz sicher. Nur hundert aus unzähligen Millionen. Denn vorerst hatte er nur eine kleine Minderheit der Großen Mehrheit auf seiner Seite.
Hah!, machte Korath. Hörst du sie, die sogenannten ›zahllosen Toten‹? Nun, zumindest eine Handvoll von ihnen. Anscheinend haben deine – gegen meine Grundsätze gerichteten – Worte wohl ein paar von ihnen davon überzeugt, dass du nicht ganz die Bedrohung darstellst, für die sie dich hielten. Darum nimm auch meine Glückwünsche entgegen, Jake: Bravo! Hah! Was für ein Jammer, dass wir damit unserem Ziel, mit diesem Jean Daniel zu reden, auch nicht näher kommen.
Jake musste einräumen, dass dies stimmte. Sie befanden sich nun schon seit einer geraumen Weile hier, und noch immer war nichts geschehen. Er war sich nicht allzu sicher, wie er es anstellen sollte, sich mit den Toten zu unterhalten. Das Einzige, was er mit Bestimmtheit wusste, war, dass er ihnen gegenüber nicht laut werden durfte. Der Necroscope, Harry Keogh, hätte dies niemals getan, und auch er wollte sich daran halten.
(… Hatte er das irgendwo gelesen – oder von jemandem gehört – oder war dies nur ein weiteres Beispiel dafür, wie sehr Harrys Revenant mittlerweile in seinem Geist Fuß gefasst hatte?) Doch dies einmal beiseitegelassen:
Wie stellte man sich einem Toten überhaupt vor oder tat ihm kund, dass man zugegen war? Oder sollte er schlicht und einfach darauf warten, dass der andere das Gespräch eröffnete? Schön und gut, aber was, wenn keiner Lust dazu hatte?
Jakes Gedanken waren in Totensprache gedacht, und solange er keine Abschirmung errichtete, bekam Korath sie ebenso deutlich mit, als hätte er sie laut ausgesprochen. In Ordnung, meinte der Vampir, gut möglich, dass wir hier nur unsere Zeit verschwenden. Vielleicht sollten wir uns nun, da du in den höchsten Tönen von Ben Trask und seinen Leuten sprichst, lieber ihren Zielen zuwenden und Malinari und dessen Spießgesellen aufspüren – zufällig habe ich das ja von Anfang an vorgeschlagen. Sehen wir den Tatsachen doch ins Gesicht, Jake: Im Vergleich zu dem, was das E-Dezernat leistet, ist deine Vendetta eine reichlich armselige Angelegenheit!
»Armselig, mag sein, aber immerhin meine Angelegenheit!« Jake straffte sich und spürte, wie die Entschlossenheit in ihm wuchs (möglicherweise auch, wie der eigentliche Jake Cutter die Oberhand zurückgewann und die Aura eines anderen abschüttelte). »Castellano – er und noch so ein Dreckskerl – das sind meine armseligen Angelegenheiten! Vielen Dank, dass du mich daran erinnerst, Korath. Wie heißt es doch so schön? Auge um Auge, nicht wahr? Und was sagtest du sonst noch? Etwas von einem ›guten, empfindsamen Herzen‹, das auch entsprechend zart schmecken würde? Hey, wer bin ich schon, etwas so Ungeheures mit einem Ungeheuer wie dir, einem Vampir, zu erörtern? Und was mein Herz angeht: Was Castellano betrifft, pumpt es bloß Säure durch meine Adern. Also mach dir bloß keine Sorgen um meine Schwächen, Korath, einstiger ›Hirnsknecht‹! Ich bin niemandes Knecht, und schon gar nicht derjenige meiner Gefühle.«
Mist!, entfuhr es Jake. In der Tat waren seine Gefühle in Aufruhr, und er wusste, dass er sich gegen die Empfindungen eines anderen, beziehungsweise was davon übrig war, auflehnte. Um seine Verletzlichkeit zu überspielen, öffnete er mit einem enttäuschten Knurren, wenn nicht gar einem tatsächlichen Aufschrei jeden seiner geistigen Kanäle
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