Entzweit : Vereint (ambi : polar) (German Edition)
ihn. Er trug immer noch seine graue Anzughose, doch das lässige T-Shirt brach den elegant wirkenden Look und ließ ihn sofort um ein paar Jahre jünger wirken. Relaxter. Nicht mehr ganz so ernst. Ich fragte mich, wie alt David wirklich war. Er war überhaupt nicht einzuschätzen. Sein Gesicht war so ebenmäßig, dass man darin keinen Makel entdecken konnte, geschweige denn ein Zeichen der Alterung. Er wirkte total alterslos. Ich konnte ihn mir auch nicht als kleinen Jungen vorstellen und schon gar nicht als unsicheren, linkischen Teenager, als den ich mich immer noch fühlte. Gerade jetzt mehr denn je.
Sein Blick wandte sich mir zu und wie jedes Mal, wenn er mich ansah, war ich gebannt von der eisblauen Farbe seiner Augen. Die waren wirklich außergewöhnlich. Da er mich still musterte, wurde ich noch nervöser. Ich hatte den Eindruck etwas sagen zu müssen.
„Tut mir Leid … mein Zusammenbruch. Ich weiß nicht, warum ich hergekommen bin. Ich … hab nicht nachgedacht. Ich war bei Karim und dann … dieser Typ … er … und ich … und dann …“ Ich biss mir auf die Unterlippe. „Ich wusste nicht wohin und ich wollte nicht alleine sein“, gestand ich schließlich und sah peinlich berührt auf meine Hände.
„Das ist gut so. Hier bist du in Sicherheit.“ Er sagte das mit einer solchen Überzeugung, dass ich ihm glaubte, obwohl ich nicht wusste, vor was ich in Sicherheit gebracht werden musste. War nicht ich diejenige, die andere aus ihrer Sicherheit riss?
Ich sah David wieder an und erkannte, dass ihm einige Fragen auf den Lippen lagen, aber er sagte nichts. Er hielt sich zurück, um mir Zeit zu geben, mich zu sammeln. Und das rechnete ich ihm hoch an. „Danke“, brachte ich mit zittriger Stimme nur leise über die Lippen. Er schenkte mir ein feines, flüchtiges Lächeln, das fast traurig wirkte, und mir fiel auf, dass er angespannt wirkte.
Er war eindeutig angespannt! Weil ich bei ihm war! Was hatte das zu bedeuten? Doch bevor ich in diese Richtung eine Frage an ihn formulieren konnte, klingelte sein Telefon. David sah auf das Display und runzelte unwillig die Stirn, doch er ging ran, ohne sich aus dem Raum zu begeben.
„Salut.“ Er lauschte dem Anrufer. „Okay. Aber ich werde heute nicht kommen können.“ Dabei warf er mir einen unsicheren Blick zu und mir wurde klar, dass das Marianne sein könnte, die da am anderen Ende der Leitung mit ihm sprach. Schließlich trafen sie sich jeden Freitag um das Ende der Arbeitswoche zu feiern und zogen gemeinsam durch die vornehmen Clubs von Paris.
David gab noch ein paar zustimmende Kommentare von sich und beendete das Gespräch dann ohne große Erläuterung, warum er nicht kommen konnte. Wie immer schien niemand ihn um Rechenschaft zu bitten. Sie waren alle einfach nur entzückt, wenn er sie mit seiner Anwesenheit beglückte und sie wussten wohl, dass sie kein Anrecht darauf hatten, ihn zu irgendetwas zu verpflichten. Mir wurde siedend heiß bei der Erkenntnis, dass Marianne mir das wahrscheinlich ein Leben lang nicht verzeihen würde, wenn sie wüsste, warum David heute anstatt mit ihr Champagner zu schlürfen zu Hause blieb.
„Ich muss gehen“, stellte ich fest, aber ich stand nicht auf. Ich konnte mich nicht dazu aufraffen.
„Dazu gibt es keine Veranlassung“, erwiderte David ruhig. Er schien zu wissen, was mich beunruhigte.
Ich warf ihm einen skeptischen Blick zu. „Ich sollte nicht hier sein.“
Er zuckte mit den Schultern. „Es weiß doch keiner, dass du hier bist.“
„Da s sollte auch so bleiben“, doch ich konnte mich immer noch nicht aufraffen, aufzustehen. Die Vorstellung, jetzt wieder da raus zu müssen, in diese seltsame Welt und ganz alleine zu sein, ließ fast wieder Tränen in meine Augen steigen.
„Wer soll es erfahren?“, erwiderte David lapidar und es schien ihn tatsächlich nicht zu kümmern.
„Marianne würde mich ohne zu zögern aus ihrer Wohnung werfen, wüsste sie, dass ich gerade bei dir bin. Wo ich dich immer so schlechtgemacht habe.“
David reagierte nicht auf meine Bemerkung, sah mich aber eingehend an. „Du solltest ihr zumindest mitteilen, dass mit dir alles in Ordnung ist. Sie macht sich sonst Sorgen um dich.“
Ich verdrehte die Augen. „Meine Schwester hat sich noch nie Sorgen um mich gemacht. Im Grunde interessiert es sie nicht, was ich mache und sie ist froh, wenn sie ihre Ruhe vor mir hat. Würde ich nicht bei ihr wohnen, wäre ich ihr völlig egal.“ Das klang nun leicht verbittert, aber es war
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