Entzweit : Vereint (ambi : polar) (German Edition)
dazugedichtet und verschönert, so wie der Mantel und die blauen Augen. Sie sind zu blau.“
Über Davids Lippen zog sich ein zartes Lächeln. „Deine Augen sind so blau.“ Er sah mich unverwandt an. Ich biss mir auf die Lippen. „Dieser Karim hat außerordentliches Talent. Ist er ein Student an der Kunstakademie?“
Ich versuchte das Kribbeln in meinem Körper zu ignorieren, das sein Blick in mir auslöste, und konzentrierte mich auf das, was er über Karim gesagt hatte. „Nein. Er ist ein Straßenkünstler am Montmartre. Er verkauft sein Talent für billige fünf Euro an Touristen, die es sicher nicht zu würdigen wissen.“
David zog ungläubig die Augenbrauen hoch. „Ein Straßenkünstler? Dann ist er ein Einwanderer.“
„Ja. Vertrieben aus einer Heimat, die er liebt, aus der er aber vor der Gewalt fliehen musste. Um nun hier ein Nichts zu sein. Und sich mit seinem Talent irgendwie durchzuschlagen.“ Ich stockte kurz und fuhr dann fort. „Das Frustrierende ist, dass ich ihn um diese Heimat beneide. Er weiß wenigstens, wo er zu Hause ist.“ Ich senkte den Blick auf meine Hände und fühlte mich noch erbärmlicher, weil ich zugegeben hatte, dass ich einen Mann beneidete, der nichts mehr besaß außer seinem Maltalent.
David schwieg einen Moment, als würde er über die Bedeutung meiner Aussage nachdenken. Ich wünschte mir insgeheim , er würde mir widersprechen, mich davon überzeugen, dass ich auch eine Heimat hatte, ein zu Hause, zu dem ich gehörte, doch er sagte nichts. Schwieg. Ein irgendwie beredtes Schweigen. Was mich sofort wieder unbehaglich fühlen ließ.
„Ist das heute Mittag zwischen uns wirklich passiert, oder habe ich mir das nur eingebildet?“ Ich hob den Blick und sah ihn unsicher an, mir selbst im Unklaren darüber, was ich jetzt lieber hören wollte: Für verrückt erklärt zu werden oder für abartig. Keine der Möglichkeiten gefiel mir wirklich. David betrachtete mich eingehend und es kostete mich schier unmenschliche Überwindung seinem intensiven Blick standzuhalten.
„Wäre es für dich einfacher, wenn ich behaupten würde, es wäre nichts passiert?“
Ich zuckte mit den Schultern. „Einfach war in meinem Leben noch nie etwas. Aber im Moment entgleitet mir alles und ich frage mich, was ist real und was ist Wahnsinn?“ Ich blickte auf das Bild, das David auf den Couchtisch vor uns gelegt hatte. „Bin ich das? Oder ist auch das nur eine Illusion?“
Wieder sagte David eine Weile lang nichts, dann gab er einen Seufzer von sich, der meine eigene schier übermächtige Frustration bestens zum Ausdruck brachte. Leicht erstaunt sah ich ihn an. Er wirkte plötzlich wieder so unsicher wie heute Mittag am Fahrradständer und wie zum Beweis meiner Theorie fuhr er sich mit gequälter Miene mit einer Hand durchs Haar.
„Es ist wohl an der Zeit, dir eine Geschichte zu erzählen“, sagte er mit unheilvoller, schwermütiger Stimme und dabei sah er mich nicht an, sondern musterte nachdenklich Karims Port rait.
Das war einer dieser Momente, in denen man urplötzlich wusste, dass das Leben sich unwiderruflich ändern würde.
Es lag in der Luft. Eine beinahe greifbare Anspannung, die klarmachte, dass von diesem Moment an mein Leben nie wieder so sein würde wie zuvor.
Mich durchfuhr ein Schauer und ich bekam Angst. Ruckartig stand ich vom Sofa auf, blieb dann aber unentschlossen stehen. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Auf der einen Seite brannte ich geradezu nach einer Erklärung für all das, was mir gerade in meinem Leben widerfuhr, zum anderen war ich mir nicht sicher, ob ich es wirklich wissen wollte. Ob ich es verkraften würde.
Unwillkürlich fing mein Körper wieder an zu zittern. Ratlos stand ich da und konnte keine Entscheidung treffen. David sah mich nicht minder verunsichert an, was mich noch mehr beunruhigte.
„Ich weiß nicht, ob ich heute noch mehr verkraften kann .“
David seufzte, dann stand er ebenfalls auf. „Ich denke, nach allem was passiert ist, gibt es kein Zurück mehr. Aber vielleicht solltest du dich tatsächlich erst ein bisschen erholen. Wieso besorgen wir uns nicht etwas zu essen, hängen ein wenig vor der Glotze rum und unterhalten uns später?“
Die Vorstellung, jetzt einfach stupid vor den Fernseher zu sitzen, sich von irgendeiner dämlichen Sendung ablenken zu lassen und damit für eine Weile alles zu verdrängen, was heute passiert war, klang zu verführerisch, als dass ich sie ablehnen konnte. Es schien mir im Moment die einzig
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