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Envy-[Neid]

Envy-[Neid]

Titel: Envy-[Neid] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Brown
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argwöhnisch anstarrte wie jemand, der den Deckel von einem Korb nehmen muss und dabei ganz genau weiß, dass darin eine zusammengerollte Kobra liegt. Eine geschlagene Minute herrschte völliges, ahnungsvolles Schweigen. Dann schlug der Anwalt den Deckel zurück und begann, das gedruckte Material zu überfliegen.
    »Wer hätte das gedacht, Howard?«, sagte Noah. »Ihre Mutter hat’s mit den Nazis getrieben.«
    Bancrofts schmale Schultern sackten nach vorne.
    »Schauen Sie, Howard, Wissen ist Macht. Ich achte darauf, alles über die Leute in meiner Umgebung in Erfahrung zu bringen, besonders über solche, die hinderlich sein könnten. Die Nachforschungen bezüglich Ihrer Herkunft haben mich eine Menge Geld und kostbare Zeit gekostet. Trotzdem muss ich gestehen, dass das Ergebnis meine kühnsten Hoffnungen übertraf. Ich habe Ihrer Mutter in dem Altersheim, wo Sie sie abgeschottet haben, einen Besuch abgestattet. Mit ein bisschen Nachhelfen hat sie mir ihr schandbares Geheimnis gebeichtet, das eine Krankenpflegerin gegen ein kleines Entgelt wortwörtlich aufgeschrieben hat. Ihre Mutter hat es unterschrieben. Sehen Sie, erkennen Sie ihre Unterschrift dort auf der letzten Seite wieder? In dem Moment war sie so schwach, sie konnte kaum den Füller halten. Offengestanden hat es mich nicht überrascht, als sie nur wenige Tage danach verstarb.
    Ihnen Ist diese Geschichte ja wohl bekannt, Howard, aber ich war fasziniert. Dreiundzwanzig war sie, als man sie aus ihrem Vaterhaus in Polen verschleppt hat. Die restliche Familie – Brüder, Schwestern, Eltern – wurde an die Wand gestellt und erschossen. Zu ihrem Glück wurde sie in ein Konzentrationslager verfrachtet.
    Damals war man in der Alten Welt mit dreiundzwanzig an der Grenze zur alten Jungfer. Ihre Mutter hatte die Heirat ihrer jüngeren Schwester mit einem glühenden Verehrer verhindert, weil nicht sie zuerst geheiratet hatte. Sie hatte keinen Mann für sich zu begeistern vermocht und damit die Familie ziemlich gespalten.
    Im Lager schenkten ihr die Männer allerdings viel Aufmerksamkeit. Die von der Wachmannschaft. Sehen Sie, Howard, Ihre Mutter hat ihre Möse gegen ihr Leben getauscht. Regelmäßig. Im Laufe der nächsten fünf Jahre. Allmählich fand sie an den Vergünstigungen Gefallen und prahlte damit. Sie hätte sich im Gefolge der übrigen weiblichen Gefangenen abschinden, sich den Kopf scheren lassen, bei Wasser und Brot darben und täglich um ihr Leben fürchten können. Aber nein, sie hat sich in bequeme Quartiere gevögelt. Hat gut gespeist, Wein getrunken und sich bei den Nazis lieb Kind gemacht. Sie war die Lagerhure. Und dafür hat man sie verachtet.
    Wundert es einen da, dass sie nach ihrer Emigration nach Amerika ihren Namen geändert und sich eine neue Biografie ausgedacht hat?
    Die Geschichte vom jüdischen Widerstandskämpfer, der für sie und sein ungeborenes Kind sein Leben geopfert hat, klang ja reizend, war aber ganz und gar erlogen. Wie Sie ja selbst herausgefunden haben. Wie alt waren Sie damals? Sieben? Acht? Jedenfalls alt genug, um den Sinn der Vorwürfe zu verstehen, die man ihr an den Kopf warf. Eines Tages kamen Sie von der Schule heim und wollten von Ihrer Mutter wissen, warum Ihnen alle hässliche Namen gaben und Sie anspuckten. Damals beschloss sie umzuziehen.«
    Als Howard Bancroft diesmal seine Brille abnahm, zitterten seine Hände so heftig, dass er sie auf den Schreibtisch fallen ließ. Mit einem dumpfen Stöhnen bedeckte er seine Augen.
    »Sie konnte nicht mit Sicherheit sagen, welcher der Lagerwärter Ihr Vater war. Sie hatte für so viele die Beine breit gemacht. Verstehen Sie? Allerdings hatte sie einen Offizier im Verdacht, der sich wenige Stunden vor der Befreiung des Lagers durch die Truppen der Alliierten eine Kugel in den Kopf schoss. Vier Monate später wurden Sie geboren. Für eine Abtreibung war es vermutlich zu spät. Vielleicht hatte sie aber auch für besagten Offizier etwas übrig. Ich habe gehört, selbst Huren hätten Gefühle.
    Howard, Howard, was für ein hässliches Geheimnis haben Sie da gehütet. Meiner Ansicht nach würde die Jüdische Gemeinde Sie nicht allzu freundlich behandeln, wenn bekannt würde, dass Ihre Mutter mit Freuden jenen Männern zu Diensten war, die sie in die Gaskammern haben marschieren lassen, und dass Tausende ihres Volkes auf Befehl Ihres Vaters gefoltert und ausgelöscht wurden. Oder?
    Sie haben Holocaust-Überlebende vor Gericht vertreten; diesen Kreuzzug könnte man scheinheilig

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