Enwor 1 - Der wandernde Wald
schließlich gegen ein Hindernis, das warnungslos aus der Dunkelheit vor ihm aufgetaucht war. Mit einem dumpfen Schmerzlaut ging er zu Boden.
Skar verlangsamte seine Schritte und blieb keuchend neben Del stehen. Der Boden war hier nicht mehr so glatt und eben wie bisher. Es war immer noch Wüste, der gleiche feinkörnige Sand, aber jetzt mit einem Netzwerk dunkler Linien und Striche durchzogen. Skar mußte unwillkürlich an ein halb im Sand verborgenes Spinnennetz denken, eine heimtückische Falle, die dicht vor dem rettenden Wald ausgelegt war, um jeden, der sich mit letzter Kraft hierhergeschleppt hatte, zu fangen und dem Verderben preiszugeben.
Er sah mißtrauisch auf, überzeugte sich mit einem raschen Blick davon, daß Del nichts Ernsthaftes zugestoßen war, und kniete schließlich nieder. Seine Finger tasteten über den Sand.
Der Boden war mit einem dichten Netzwerk aus abgestorbenen Wurzeln und Ästen durchzogen, das wie ein Labyrinth heimtückischer Fallstricke und Gruben dicht unter der trügerisch glatten Oberfläche verborgen war. Skar sah auf und gewahrte jetzt mehr Einzelheiten. Das Geflecht verdichtete sich vor ihnei,, wuchs gleichermaßen in Tiefe wie in Höhe und Breite. Vor ihnen lag etwas, das früher einmal ein Wald gewesen sein mußte: abgestorbene Reste von Bäumen, schwarze, von der unbarmherzigen Wut der Sonne verkohlte Strünke, deren Netz dichter wurde, je weiter es sich dem eigentlichen Waldrand näherte. Es war, als läge hier, vor der lebendigen grünen Mauer des Waldes, der Leichnam eines zweiten Waldes, ein verbranntes, skelettiertes Opfer der unbarmherzig näherrückenden Wüste. Der Anblick hatte etwas Unheimliches und zugleich Ernüchterndes. Obwohl gegen alle Logik, überzeugte er Skar doch endgültig, daß dieser Wald echt und nicht bloß Fata Morgana oder grausames Trugbild seiner überreizten Nerven war. Durch eine Laune der Natur hatte sich dieser Wald gegen die stumme Macht der Wüste behauptet, aber der Kampf hatte Opfer gefordert. Wie die vordersten Reiter einer Verteidigungslinie waren diese Baumreihen gefallen, langsam und vielleicht über Jahrzehnte hinweg, aber unbarmherzig, und hatten mit ihrem Opfer dem Wald Gelegenheit gegeben, sich auf den Ansturm der Wüste vorzubereiten.
Er drehte sich um und half Del beim Aufstehen. Der junge Satai kam schwankend auf die Beine. Eine dünne, hellrot schimmernde Linie hatte die Kruste aus getrocknetem Blut auf seinem Gesicht durchbrochen, aber er schien den Schmerz gar nicht zu spüren. »Weiter«, keuchte er. »Wir müssen… weiter.«
Skar nickte wortlos. Er ertappte sich dabei, wie seine Hand instinktiv zum Schwertgriff glitt. Ohne einen konkreten Grund dafür nennen zu können, spürte er einfach, daß hier irgend etwas nicht stimmte. Es war nicht nur dieser tote Wald, der ihm Unbehagen und Furcht einflößte. Da war noch etwas anderes, etwas, das mit Worten nicht zu beschreiben, aber von fast greifbarer Intensität war, beinahe, als wäre zwischen ihnen und der dunklen Wand des Waldes noch etwas, eine unbestimmbare, stumme Bedrohung, die schlimmer als der Tod war. Del versetzte dem Wurzelstück, über das er gestolpert war, einen wütenden Fußtritt und ging weiter. Skar folgte ihm. Del ging jetzt merklich langsamer und sah sich immer wieder nach rechts und links um. Seine Hände fingerten nervös am Griff des
Tschekal,
des zweischneidigen SataiSchwertes, das von seinem Gürtel hing.
Er spürte es also auch.
Das Geflecht aus abgestorbenen Bäumen und ineinander verwachsenen Ästen wurde dichter, je weiter sie sich der Baumgrenze näherten. Die anfangs nur einzeln dastehenden, verkohlten Baumstrünke rückten enger zusammen. Die Stämme ragten wie große, skurril geformte Hände rings um sie aus dem Sand; Hände mit dünnen, gierigen, vielfach gegliederten Fingern, die nach ihnen griffen, über ihre Harnische schrammten, ihre Haut zerrissen und sich um ihre Beine zu winden suchten, so daß ihr Marsch mehr und mehr zu einem mühsamen Vorwärtsstolpern wurde. Schließlich sahen sie sich gezwungen, mit den Schwertern eine Gasse durch das wild wuchernde Unterholz zu hauen.
Skar war nicht sonderlich wohl dabei. Das Splittern und Krachen des trockenen Holzes mußte meilenweit zu hören sein. Wenn dieser Wald Bewohner hatte, dann waren diese spätestens jetzt über ihr Kommen informiert. Aber sie hatten beide weder Zeit noch Kraft, umzukehren und nach einem leichteren Weg zu suchen.
Er warf Del einen besorgten Blick zu. Der
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