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Enwor 1 - Der wandernde Wald

Enwor 1 - Der wandernde Wald

Titel: Enwor 1 - Der wandernde Wald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Jüngere hielt sich dicht neben ihm und hieb mit verbissener Wut auf Wurzeln und Äste ein. Seine Klinge fuhr splitternd durch das Holz. Er legte mehr Kraft in seine Hiebe, als nötig gewesen wäre. Mehr, als er sich leisten konnte, dachte Skar besorgt. Dels Muskeln spannten sich bei jedem Schlag, als gelte es, die Rüstung eines schwergepanzerten Gegners zu durchschlagen anstelle ein paar dünner Luftwurzeln.
    Aber er sagte nichts. Er verstand Del nur zu gut. Für ihn war der tote Wald in diesem Moment mehr als eine Ansammlung abgestorbener Holzstücke und Wurzeln. Es war ein Feind; ein böses, vieltausendfach gegliedertes Ungeheuer, ein Netz gierig ausgestreckter Fangarme und Krallen, das ihn vor der zum Greifen nahe gerückten Rettung abzuhalten suchte.
    Dann, von einem Augenblick zum anderen, waren sie durch. Der letzte Baumstrunk fiel unter einem wütenden Hieb, und vor ihnen lag eine vielleicht fünf Meter breite, sorgsam gerodete Fläche schwarzverbrannten Bodens. Dahinter erhob sich eine mannshohe, ebenmäßig geformte Düne, hinter der der eigentliche Wald begann.
    Del rammte sein Schwert in die Scheide zurück und gab ein erleichtertes Seufzen von sich. Er wollte die Düne hinaufstürmen, aber Skar hielt ihn mit einer raschen Bewegung zurück. »Warte!«
    Del grunzte etwas Unverständliches. Seine Lippen formten Worte des Protestes, aber die ausgedörrte Kehle und die unförmig angeschwollene Zunge ließen ein unverständliches Gebrabbel daraus werden. Er versuchte sich loszureißen, aber Skar hielt ihn mit eisernem Griff zurück.
    »Mach jetzt keinen Fehler«, sagte er warnend. Unwillkürlich senkte er die Stimme zu einem kaum hörbaren Flüstern. Das Gefühl der Gefahr, des Fremden, Bedrohlichen, wurde mit jeder Sekunde stärker. Die Wüste und die Dunkelheit hinter ihnen waren nicht so leer, wie es den Anschein hatte. Skar hatte plötzlich den Eindruck, von unzähligen winzigen, boshaften Augen beobachtet zu werden.
    Er sah Del durchdringend an und deutete mit der Waffe auf den Kamm der Düne. »Der Wald ist bewohnt«, sagte er bestimmt. »Wir müssen vorsichtig sein. Möglich, daß man uns erwartet. Diese Düne wurde künstlich angelegt.«
    Dels Blick folgte widerwillig der mit mathematischer Präzision angelegten Kammlinie. In seinem Gesicht arbeitete es. Er schwankte, machte einen zögernden Schritt und blieb erschöpft stehen. »Wir müssen hinüber«, sagte er leise. »Wir müssen, Skar!«
    Skar nickte. »Ja. Und das werden wir auch. Aber vorsichtig. Ich habe keine Lust, so kurz vor dem Ziel noch in eine Falle zu laufen.«
    Vorsichtig setzten sie sich in Bewegung. Der Sand und der krumige, zu schwarzer Asche verdorrte Boden schienen überlaut unter ihren Sandalen zu knirschen, als sie den steil ansteigenden Hang erklommen. Nach dem Höllenlärm, den sie vorher gemacht hatten, kam Skar ihre übertriebene Vorsicht schon beinahe albern vor. Irgendwie war es lächerlich, sich zuerst wie eine Herde tollwütiger Wasserbüffel durch das Unterholz zu hauen und dann auf Zehenspitzen zu gehen und möglichst flach zu atmen, um nur ja kein unnötiges Geräusch zu verursachen. Aber ihre über Jahrzehnte hinweg antrainierten Reflexe behielten die Oberhand.
    Auf dem Kamm des Hügels blieben sie stehen. Der Wald lag scheinbar in Armeslänge vor ihnen — eine massive, dunkelgrüne Mauer, aus der ein Gemisch leiser Geräusche und das unbeschreibliche Aroma feuchter Erde und frischen Grüns zu ihnen hinaufwehten. Skar hatte nie gewußt, wie süß frische Walderde riechen konnte. Aber er sah auch noch mehr. Zwischen der Baumgrenze und der Düne schlängelte sich ein schmaler, sorgfältig von Unkraut und Wurzelwerk befreiter Fußpfad entlang. Und die diesseitige Steigung der Düne war nicht einfach ein Sandhügel wie die gegenüberliegende, sondern eine künstliche Anlage. Jemand hatte sie mit großer Mühe begradigt und mit einem raffinierten System von Balken und engmaschigen, einander überlappenden Netzen gesichert. Wenn er noch einen Beweis für seinen Verdacht, daß der Wald bewohnt war, benötigt hätte — hier war er.
    Del bewegte sich unruhig. Sein Schwert glitt schabend aus der Scheide. »Verschwinden wir von hier«, sagte er. »Wir bieten eine prachtvolle Zielscheibe.« Skar nickte stumm, duckte sich und sprang mit einem federnden Satz den Hang hinunter. Der weiche Boden dämpfte seinen Aufprall, und die Dunkelheit schien das Geräusch zu verschlukken wie ein Schwamm, der nach langer Trockenheit wieder

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