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Enwor 1 - Der wandernde Wald

Enwor 1 - Der wandernde Wald

Titel: Enwor 1 - Der wandernde Wald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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provisorisch errichteten Podest aus Fässern und eilig zusammengenagelten Brettern stand, aber er spürte trotzdem, wie die Menschen rechts und links von ihm ängstlich zurückwichen und ihm furchtsame Blicke zuwarfen. Vielleicht war er einmal ein Held für sie gewesen. Jetzt hatten sie nur noch Angst vor ihm.
    Er spürte, wie sich die Stille wie eine schwere, erstickende Decke über den Platz senkte. Bernec verstummte, als er ihn, Coar und Del heranreiten sah, und für einen Moment huschte ein furchtsamer, erschrockener Ausdruck über seine Züge. Dann hatte er sich wieder in der Gewalt.
    Skar ritt bis auf zehn Meter an das Rednerpodest heran und zügelte sein Pferd.
    Coar blieb an seiner rechten Seite stehen, Del, das zusätzliche Pferd zwischen sich und Skar haltend, links.
    Bernec bewegte sich unruhig. Sein Blick tastete hilfesuchend über die stumme Mauer weißer, gebannt dreinschauender Gesichter hinter Skar, aber er schien zu spüren, daß er in diesem Augenblick keine Hilfe von ihnen zu erwarten hatte.
    »Du… du bist also doch noch gekommen«, begann er, als klar-wurde, daß Skar nicht von sich aus reden würde.
    Skar lächelte stumm, aber in einer Art, die Bernec sichtlich erbleichen ließ. Er rang nervös mit den Händen, schluckte ein paarmal und fuhr sich hektisch mit dem Handrücken über die Stirn. Sein Blick saugte sich wie hypnotisiert am Griff von Skars Waffe fest. Er hatte Angst.
    »Was… wollt ihr?« fragte er unsicher.
    Skar lächelte. »Wir reiten nach Ipcearn«, sagte er ruhig. Seine Hand machte eine einladende Bewegung auf den Sattel des überzähligen Pferdes an seiner Seite. »Kommst du mit?«
    Bernecs Unterkiefer sank verblüfft herunter. »Ihr wollt…?«
    »Nach Ipcearn reiten«, bestätigte Skar. »Nur wir drei — und du, wenn du den Mut dazu hast.«
    »Ihr seid verrückt!« keuchte Bernec. »Ihr seid tot, bevor ihr auch nur in die Nähe des Schlosses kommt. Seshar wird euch umbringen lassen.«
    »Vielleicht«, gestand Skar gleichmütig. »Aber dieses Risiko müssen wir eingehen. Man kann keinen Krieg führen und hoffen, unbeschadet davonzukommen.«
    »Aber es ist Wahnsinn, allein gegen Ipcearn zu ziehen! Seshar hat mindestens zweihundert Soldaten, und…«
    »Hast du Angst?« unterbrach ihn Skar lächelnd.
    Bernec schwieg eine ganze Weile. Auf seinen Zügen war der innere Kampf, den er durchstehen mußte, überdeutlich zu sehen.
    »Nein«, sagte er. »Ich habe keine Angst. Aber es ist sinnlos, wenn ihr euch opfert, und es ist auch sinnlos, wenn ich dabei mitmache. Seshar kann sich keinen besseren Weg wünschen, mich loszuwerden.«
    »Und du glaubst, darauf wäre er angewiesen, wie?« fragte Skar höhnisch. »Mir scheint, du hältst dich bereits für unersetzlich. Aber du bist nicht so wichtig, wie du denkst, Bernec. Du hast deinem Volk die Wahrheit gesagt, und ich will mich nicht mit dir darüber streiten, ob es zu diesem Zeitpunkt richtig war oder nicht. Es zählt jetzt nicht mehr, ob es dich gibt oder nicht. Du bist unwichtig, Bernec. Dein Volk wird sich so oder so gegen Seshar auflehnen. Das einzige, was du noch tun kannst, ist, dich zum ersten Mal in deinem Leben wie ein Mann zu benehmen und den Kampf, den du begonnen hast, allein zu Ende zu bringen. Vielleicht stirbst du dabei, aber dann sterben wir alle. Dein Volk wird trotzdem überleben.«
    »Ihr… ihr verlangt von mir, daß«, stotterte Bernec, »daß ich…«
    »Wir verlangen nicht mehr von dir, als wir von uns verlangen«, unterbrach ihn Skar. »Nicht mehr, als jeder Mann von selbst tun würde.« Er wußte, daß er gewonnen hatte. Bernec hatte den Moment, in dem er das Ruder noch hätte herumreißen können, verpaßt. Ihm blieb gar keine andere Wahl mehr, als auf Skars Vorschlag einzugehen, wenn er nicht vor all seinen Anhängern das Gesicht verlieren wollte.
    »Gut«, sagte er mühsam. »Ich komme mit euch. Nur ich allein. Aber wenn wir nicht zurückkommen«, fügte er mit erhobener Stimme hinzu, »dann wird dieses Volk wie ein Mann aufstehen und Ipcearn vom Antlitz dieser Welt fegen!«
    »Ihr Götter«, flüsterte Del so leise, daß nur Skar die Worte verstehen konnte. »Gleich wird er sich vor die Brust schlagen und Asche auf sein Haupt streuen.« Skar schüttelte unwillig den Kopf. »Still«, zischte er. »Verdirb nicht alles. Gib ihm wenigstens eine winzige Chance, heil davonzukommen.«
    Del grinste und schwieg.
    Bernec blieb noch einen Moment reglos auf seinem Podest stehen, als warte er auf irgend etwas.

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