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Enwor 1 - Der wandernde Wald

Enwor 1 - Der wandernde Wald

Titel: Enwor 1 - Der wandernde Wald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Schließlich wandte er sich um, sprang zum Boden herab und kam mit gezwungen ruhigen Schritten auf sie zu. Skar beugte sich vor, um ihm in den Sattel zu helfen. Bernec ignorierte seine Hand, schwang sich auf den Rücken des Tieres und riß unnötig hart und brutal an den Zügeln.
    »Drei Tage!« rief er. »Wenn wir in drei Tagen nicht zurück sind, greift ihr an!«
    Ein paar vereinzelte Stimmen riefen ihre Zustimmung, und jemand versuchte, einen Hochruf anzustimmen, brach aber sofort wieder ab.
    Sie ritten los. Die Menge teilte sich vor ihnen und wich weiter zurück, als nötig gewesen wäre. Eine beklemmende, unwirkliche Stimmung schien die Stadt erfaßt zu haben, ein Schweigen, das ihnen wie ein unsichtbarer, finsterer Hauch selbst dann noch folgte, als sie hintereinander durch das Tor ritten und in den Wald eindrangen.
    Skar fühlte sich mit einemmal unendlich müde. Er hätte erleichtert oder zumindest zufrieden sein müssen, aber er spürte nichts davon. Es gab keinen Grund, auf seinen Sieg über Bernec stolz zu sein. Wenn es überhaupt ein Sieg gewesen war.
    Sie galoppierten in scharfem Tempo nach Westen. Coar hatte frische, ausgeruhte Pferde herausgesucht, so daß sie rasch vorankamen, ohne größere Pausen einlegen zu müssen. Gegen Mitternacht rasteten sie an einem der unzähligen kleinen Tümpel, die überall im Wald von Cearn verstreut waren, tränkten ihre Pferde und aßen, mehr aus Gewohnheit und um nicht untätig herumsitzen und schweigen zu müssen, als aus Hunger, brachen aber schon nach wenigen Minuten wieder auf, um weiterzureiten. Der Weg kam Skar verändert vor. Er war ihn schon dreimal gegangen, aber diesmal schien alles anders, fremd und ablehnend. Eine seltsame Stimmung des Abschiednehmens ergriff ihn. Er spürte, daß es das letzte Mal sein würde. Er würde nicht mehr nach Went zurückkehren, ganz gleich, was geschah. Als die Sonne aufging, waren sie nur noch wenig mehr als eine Meile von Ipcearn entfernt. Sie hatten auf dem gesamten Weg nicht einen Menschen getroffen, weder einen Waldläufer noch einen von Seshars Soldaten, aber Skar schob dies auf die Tatsache, daß Bernec den Wald kannte und die sicher vorhandenen Patrouillen umgangen hatte.
    Sie stiegen ab, ließen ihre Tiere frei laufen und nahmen das letzte Stück des Weges zu Fuß in Angriff. Graue Dämmerung durchwob den Wald mit Schatten und verwirrenden Lichteffekten, und über dem Boden lag ein dünner, halbdurchsichtiger Nebelschleier, der das Geräusch ihrer Schritte dämpfte und die Unwirklichkeit des Augenblicks vertiefte.
    Sie erreichten den Waldrand und blieben im Schutz der letzten Büsche stehen. Ipcearn lag wie ein grauer, abweisender Koloß vor ihnen, ein Titan, der sich auf einem Dutzend ungeheuerlicher Spinnenbeine hoch über dem Wald erstreckte und sie allein durch seine Größe zu verspotten schien. Es gab keine Möglichkeit, unentdeckt über die Lichtung zu gelangen. Der Wald war in jeder Richtung auf hundert Meter oder mehr abgeholzt worden, und Skar zweifelte keine Sekunde daran, daß Hunderte von mißtrauischen Augenpaaren jede noch so kleine Bewegung auf der Lichtung verfolgen würden. Aber es gab keinen anderen Weg. »Kommt«, murmelte er, »solange es noch nicht ganz hell ist. Vielleicht haben wir Glück, und sie sehen uns nicht.«
    Er nickte Del aufmunternd zu und spurtete los, ohne auf eine Antwort zu warten. Es war jener Augenblick der Dämmerung, in der das Licht grau und unsicher ist und man fast weniger als in der Nacht sieht, und vielleicht hatten sie wirklich Glück und schafften es. Sie rannten in einer weit auseinandergezogenen Kette los und erreichten den schwarzen Schatten Ipcearns in weniger als einer halben Minute. Skar blieb keuchend stehen, lehnte sich gegen einen der mächtigen Baumstämme und lauschte angespannt. Über ihnen blieb alles ruhig.
    »Sieht aus, als hätten wir Glück gehabt«, flüsterte Del. »Jetzt brauchen wir nur noch hinaufzukommen. Hat jemand vielleicht eine gute Idee dazu?«
    Statt einer Antwort griff Coar unter ihren Mantel und nahm ein zusammengerolltes Tau mit einer dreizackigen Metallklaue hervor. Sie wickelte es sorgfältig ab, hielt das Ende mit den Widerhaken in der Hand und suchte nach einer passenden Stelle. Das Seil verwandelte sich in einen flirrenden Kreis und zischte, von einem mächtigen Schwung getragen, nach oben. Die stählerne Klaue prallte mit einem scheppernden Geräusch gegen den Baumstamm, rutschte ein Stück daran herunter und verkantete sich. Coar

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