Enwor 1 - Der wandernde Wald
schließlich grob von sich, so daß sie gegen einen Baum taumelte. »Sieh mich an!« schrie er. Er machte einen Schritt auf sie zu, hob die Hände in die Höhe und vertrat ihr blitzschnell den Weg, als sie davoneilen wollte. »Sieh dir diese Hände an! Sie sind zum Arbeiten und Streicheln gedacht, aber Del und ich, wir benutzen sie zum Töten! Ich kann einen Menschen mit bloßen Händen in Stücke reißen, und ich tue es, wenn es sein muß, Coar! Und du willst, daß ich mithelfe, euch ebenso werden zu lassen? Willst du das wirklich?!«
Coar begann leise zu weinen.
Mit der Ankunft der Reiter aus Ipcearn breitete sich eine hektische, aufgeregte Atmosphäre über der Stadt aus. Skar sah mehr Menschen als gewohnt in Went, und am frühen Nachmittag versammelte sich auf der Lichtung im Zentrum der Stadt eine fröhliche, lachende Menschenmenge und begann mit den Vorbereitungen für ein Fest — Bänke und eiserne Bratspieße wurden herbeigeschleppt, Feuerstellen vorbereitet und große, bauchige Fässer auf hölzernen Böcken aufgestellt. Skar sah den Vorbereitungen eine Weile vom Waldrand aus zu, aber seine Laune sank mit jedem Augenblick mehr. Coar hatte sich nach der häßlichen Szene, die er ihr gemacht hatte, stumm abgewandt und war gegangen, und er hatte sie seitdem nicht wiedergesehen. Er wußte, daß er ihr weh getan hatte, sehr weh, und er wußte auch, daß es nicht fair gewesen war. Von allen Menschen, die er in Cearn getroffen hatte, mochte Coar der sanfteste sein; seine Vorwürfe waren ungerechtfertigt gewesen, und im Grunde hatte er nicht mehr getan, als seinen Zorn auf Mergell an ihr auszulassen. Aber wie so oft waren die Worte heraus, ehe er sich über ihre Wirkung richtig im klaren gewesen war, und wie so oft fehlte ihm der Mut, ihr einfach nachzugehen und ein paar Worte der Entschuldigung zu sagen. Selbst jetzt wäre es noch nicht zu spät dazu gewesen, und eigentlich wußte er selber nicht zu sagen, warum er es nicht tat.
Vielleicht war es der Zorn auf sich selbst. Mergells Forderung hätte ihn nicht so überraschend treffen dürfen, wie sie es getan hatte. Er hatte genug erlebt, um eigentlich wissen zu müssen, daß man niemals etwas geschenkt bekam. Auch hier nicht.
Nach einer Weile wandte er sich ab und begann ziellos durch die Stadt zu wandern. Stärker denn je spürte er, daß er trotz allem ein Fremder war. Und er würde es auch immer bleiben. Seine Worte Coar gegenüber waren nur halb wahr gewesen — natürlich war er nicht das Ungeheuer, als das er sich selbst hingestellt hatte, und natürlich würden die Männer und Frauen, die er ausbildete, dicht zu blutrünstigen Bestien werden. Aber er spürte instinktiv, laß es unmöglich war, Mergells Ansinnen zu erfüllen. Es gab etwas zwischen ihm und diesen Menschen, einen unsichtbaren Graben, etwas wie eine gläserne Wand, die man weder sehen noch berühren konnte und die sie doch auf immer voneinander trennen würde. Selbst Coar gegenüber spürte er manchmal noch das Gefühl des Fremdseins, eine Empfindung, die, manchmal überraschend und ohne sichtbaren Anlaß, wie ein eisiger Windhauch durch seine Seele zu streifen schien und ihm klarmachte, daß er ein Eindringling war und immer bleiben mußte. Enwor und Went das waren nicht zwei verschiedene Teile einer einzigen Welt, sondern zwei verschiedene Welten, die eine auf der anderen gelegen und doch so unterschiedlich, wie sie nur sein konnten. Er konnte nicht hierbleiben, ohne diese Welt zu zerstören oder selbst zugrunde zu gehen. Es war das erste Mal, daß er begriff, daß Sanftmütigkeit eine ebenso tödliche Waffe sein konnte wie ein Schwert.
Skar blieb stehen, als er merkte, daß ihn seine Schritte unbewußt zu Thorandas Haus zurückgeführt hatten. Er wollte sich abwenden und wieder gehen, zuckte aber dann nur mit den Achseln und begann langsam die schräge Rampe hinaufzusteigen.
Thoranda kam ihm entgegen, als er durch den Vorraum in Richtung der Treppe ging, die zu Dels Kammer hinaufführte. Er blieb stehen, lächelte verlegen und deutete mit einer Kopfbewegung nach oben. »Ich wollte dich nicht stören«, sagte er entschuldigend.
»Wenn du Del suchst«, gab Thoranda zurück, »kannst du dir den Weg sparen. Er ist nicht mehr dort oben.« »Er ist…« Skar brach erschrocken ab. »Was ist mit ihm?«
»Nichts, was dich in Sorge versetzen könnte«, sagte Thoranda lächelnd. »Er ist wach, schon seit dem frühen Morgen. Ich hätte dich gerufen, aber ich glaubte, du wärest noch bei Mergell
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