Enwor 10 - Die verbotenen Inseln
Und es vertrieb nicht nur seine
körperlichen
Beschwerden. Mit der Mattigkeit und dem Schmerz aus seinen Gliedern wich auch gleichzeitig die Düsternis aus seinen Gedanken. Er hatte das Gefühl, daß er für diese — geliehene —Kraft bitter würde bezahlen müssen, aber das war ihm im Moment gleich. Was er jetzt brauchte, das war ein klarer Kopf und die Fähigkeit, aus eigener Kraft auf den Beinen stehen zu können, und zu beidem verhalf ihm Scrats Trank.
Trotzdem blieb er reglos sitzen, als die Quorrl Titch einfach beiseite schob und damit begann, seinen Körper in Augenschein zu nehmen, rasch und sehr kundig, aber nicht besonders behutsam. Titch und sie wechselten ein paar Worte, während Kiina einige Schritte abseits stand und dem Tun der alten Quorrl voller unverhohlenem Mißtrauen zusah.
Skar mußte ein paarmal die Zähne zusammenbeißen, um nicht vor Schmerz aufzustöhnen, als Scrat seine Wunden säuberte und frische Verbände anlegte, die sie mit einer übelriechenden, heftig brennenden Salbe bestrich. Sie arbeitete schnell und mit einer Präzision, die in krassem Gegensatz zu ihrem Alter und dem Zittern ihrer Hände stand, aber Skar registrierte auch, daß sie es ohne Anteilnahme tat. Sie behandelte ihn wie eine Ärztin, die sie war, aber sie tat es auf eine Art, als versorge sie ein kostbares Tier.
»Fühlst du dich kräftig genug, um zu gehen?« fragte Titch, als Scrat sich ächzend aufgerichtet und einen Schritt zurückgetreten war.
»Das wird er«, antwortete die Quorrl an seiner Stelle. »Aber er ist es nicht.«
Titch fauchte ein einzelnes, zornig klingendes Wort in seiner Muttersprache, das Scrat mit einem trotzigen Blick quittierte, und wollte die Quorrl einfach aus dem Weg schieben, aber Kiina fiel ihm in den Arm.
»Was hat sie damit gemeint?« fragte sie mißtrauisch.
»Der Trank, den er ihm gegeben hat«, sagte Scrat, ohne Titchs warnenden Blick zu beachten. »Er macht ihn stark, Menschenkind. Aber er läßt ihn nur glauben, er wäre es. In Wahrheit nutzt er Kräfte, die er brauchte, um zu leben, nicht um sich zu
bewe-
gen.«
Kiina sah den Quorrl gleichermaßen verärgert wie überrascht an, und Titch machte einen zornigen Schritt auf Scrat zu.
»Es ist gut«, mischte sich Skar in den beginnenden Streit ein.
»Ich werde vorsichtig sein. Ich danke dir für deine Hilfe.« Er sah Titch fragend an. »Die anderen…?«
»Leben alle noch«, sagte Titch. »Sie haben nicht einmal gemerkt, was passiert ist.« Er machte eine Geste zur Tür. »Cron will uns sehen.«
Obwohl er allen Grund dazu gehabt hätte, dachte Skar, klang er nicht erleichtert, sondern eher besorgt. Hätte er es nicht besser gewußt, wäre er angesichts Titchs sonderbarer Reaktion sicher gewesen, daß er auch Crons Familie und Gesinde lieber tot als lebendig gesehen hätte.
Er verscheuchte den Gedanken, streifte seinen Mantel wieder über und bedeutete Titch mit Gesten, voran zu gehen. Kiina wollte sich ihnen anschließen, aber Titch schüttelte den Kopf. »Bleib zurück«, sagte er. »Ich traue Cron nicht.«
»Ich denke nicht daran, allein hier zu bleiben!« widersprach Kiina heftig. »Wie sicher, glaubst du wohl, wäre ich hier allein, wenn ihr nicht zurückkommt?«
»Titch hat recht«, mischt sich Scrat ein. »Besser, du bleibst hier. Ich will auch nach dir sehen.«
»Mir fehlt nichts!« sagte Kiina trotzig.
Und schon gar nichts, was eine
Quorrl
heilen könnte,
fügte ihr Blick hinzu. Aber wenn Scrat die unausgesprochene Beleidigung überhaupt bemerkte, dann schien sie sie nicht sonderlich zu stören. Mit der Selbstverständlichkeit, mit der das Alter über den Widerspruch der Jugend offensichtlich bei allen Völkern hinwegging, ergriff sie Kiinas Arm und zwang sie fast gewaltsam, auf der Truhe Platz zu nehmen, auf der Skar bisher gesessen hatte. Kiina protestierte lautstark und versuchte sich zu wehren, aber das eine war so sinnlos wie das andere: Scrat reagierte nicht auf ihren Protest und die Beschimpfungen, die sie hineinflocht, und sie war zwar alt, aber sie war eine
alte Quorrl,
und somit immer noch gut fünfmal so stark wie das Mädchen.
»Tu, was sie sagt«, sagte Titch ungeduldig. »Vielleicht ist sie der letzte Quorrl, der dir jemals helfen wird, nach dem, was heute passiert ist.« Er drehte sich um und öffnete die Tür, und sie verließen die Kammer, ehe Kiina abermals widersprechen und womöglich eines ihrer endlosen Streitgespräche vom Zaun brechen konnte.
Das Haus war noch immer so unheimlich
Weitere Kostenlose Bücher