Enwor 10 - Die verbotenen Inseln
Schafherde auf einer zu kleinen Koppel dazustehen. Wenn sie es trotzdem taten, konnte es eigentlich nur einen Grund dafür geben: in der einzigen Richtung, in der Platz zum Ausweichen gewesen wäre — nämlich
hinter
ihnen, war etwas, was sie daran hinderte.
Eine Anzahl Quorrl kamen ihnen entgegen, als sie sich dem Plateau näherten, aber Titch machte eine rasche, abwehrende Handbewegung, der die Krieger veranlaßte, stehenzubleiben und beiseite zu treten, um ihm und seinen Begleitern auf dem schmalen Saumpfad Durchlaß zu gewähren. Skar beobachtete die Quorrl genau, als er an ihnen vorüberging. Die meisten starrten demutsvoll zu Boden, aber zwei, drei Krieger sahen Titch — und vor allem seinen Begleiter — auch sehr aufmerksam an, und der Ausdruck auf ihren Gesichtern sprach Bände. Es war nicht sehr wahrscheinlich, daß auch nur einer von ihnen Rowl
kannte;
aber sie alle hatten von ihm gehört, und sie mußten zumindest
ahnen,
wer der hochgewachsene Quorrl mit den brennenden Augen neben ihrem Anführer war. Es war erstaunlich, dachte Skar, wie sehr sich Titchs Krieger verändert hatten, seit er sich von ihnen getrennt hatte: aus der stumpfen Masse grauer Kampfmaschinen waren Individuen geworden. Dann, fast im gleichen Moment, in den er den Gedanken dachte, begriff er, daß es nicht die Quorrl waren, die sich verändert hatten.
Er
war es. Zum ersten Mal im Leben sah er die Quorrl so, wie sie wirklich waren.
»Wo?« fragte Rowl knapp, als sie den Rand des Lagerplatzes erreicht hatten und stehenblieben. Die Krieger wichen auch hier vor ihnen zurück und versuchten, eine Gasse für sie zu bilden, aber es gab einfach keinen Platz mehr, um rasch auszuweichen.
Sie mußten notgedrungen stehenbleiben und warten, bis sich in der Masse aus über tausend Quorrl schubsend und drängelnd ein schmaler Pfad gebildet hatte, durch den sie nur hintereinander gehen konnten.
Titch sah sich einen Moment suchend um, dann deutete er nach vorne; völlig willkürlich, wie Skar annahm. Selbst für die scharfen Augen eines Quorrl mußte es unmöglich sein, Kiina inmitten dieses unüberschaubaren Durcheinanders zu entdecken. Rowl schien zu dem gleichen Schluß zu gelangen wie er, denn er runzelte vielsagend die Stirn und sah Titch einen Moment lang voller unverhohlenem Mißtrauen an. Aber dann zuckte er nur die Schultern und folgte dem Quorrl in der goldenen Rüstung. Erneut mußte Skar den Mut dieses Quorrl bewundern. Wenn auch nur die Hälfte dessen stimmte, was er gehört hatte und nur ein Bruchteil von dem, was er aus Rowls und Fahs Worten geschlossen hatte! — konnte Rowl absolut nicht sicher sein, das Plateau jemals wieder zu verlassen. Trotzdem zögerte er keine Sekunde. Seine Haltung war noch immer so selbstbewußt und gelassen wie zuvor; er kam Skar eher vor wie ein Mann, der sich inmitten seines
eigenen
Heeres bewegte, nicht zwischen den Kriegern eines Mannes, den er noch vor Sonderfrist für seinen Todfeind gehalten hatte.
Wahrscheinlich war es purer Zufall: Trotz des ungeheuerlichen Gedränges auf der Felsenplatte gab es genau in ihrem Zentrum einen kleinen, fast freien Fleck, auf dem sie Kiina fanden, eingerollt in eine Decke aus Fell und mit Kopf und Schultern gegen eine der beiden verzierten Truhen gelehnt; so wie sie eingeschlafen war. Die Quorrl umgaben sie und die beiden Truhen wie eine lebende Schutzmauer. Aber es gehörte nicht besonders viel Phantasie dazu, sich auszurechnen,
wem
dieser Schutz galt. Nicht dem Mädchen, sondern dem Inhalt der beiden Kisten. Der Anblick war so bizarr, daß nicht nur Skar, sondern auch Titch und der Bastard verblüfft stehenblieben und auf das schlafende Mädchen herabblickten; wenngleich die Reaktionen auf ihren Gesichtern völlig unterschiedlich waren. Titch wirkte betroffen, während in Rowls Augen für Bruchteile von Sekunden fast so etwas wie Zorn aufflammte. Skar fühlte, wie sein Herz einen raschen, erschrockenen Schlag machte und schneller weiterhämmerte. Rowl mußte schon mehr als begriffsstutzig sein, um nicht sofort zu wissen, was das absurde Bild bedeutete.
Skar trat mit einem raschen Schritt an ihm und Titch vorbei, beugte sich vor und zerrte grob die Felldecke herunter, in der Kiina sich eingedreht hatte. »Verdammt noch mal!« brüllte er. »Gehorchst du so den Befehlen, die ich dir gebe?«
Kiina blinzelte. Durch den plötzlichen Ruck hatte sie das Gleichgewicht verloren und war auf den linken Arm herabgefallen, der zu schmerzen schien. Verschlafen rieb sie
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