Enwor 11 - Das elfte Buch
Skar. »Ich kam zufällig vorbei. Als ich die Quorrl aus dem Wald brechen sah, habe ich mich versteckt. Dann kamt Ihr und Eure Leute… den Rest der Geschichte kennt Ihr.«
»Meine Leute?« Marna schüttelte den Kopf. »Roun und seine Miliz gehören nicht zu mir. Ich bin genau wie du
zufällig
vorbeigekommen. So sind wir Satai nun einmal. Aber das weißt du ja sicherlich. Suchst du Arbeit, Ska?«
»Wenn sie gut bezahlt wird.«
»Wenn du Geld brauchst, dann gehst du am besten mit Roun und seinen Männern. Ich bin sicher, dass sie gut für ein Schwert bezahlen, das sie und ihre Familien vor den Quorrl beschützt. Falls du dem
Ruf
folgen willst, dann komm zu uns.«
Marnas Stimme klang ruhig, fast beiläufig, aber vielleicht war es gerade das, was Skar alarmierte. Er spürte, dass von seiner Antwort viel abhing. Wenn nicht alles.
»Und wo finde ich Euch?«, fragte er.
»Roun wird dir den Weg zeigen«, antwortete Marna. »Er wird dir auch ein Pferd und warme Kleidung geben — nicht wahr, Roun?«
»Natürlich«, sagte Roun — ganz wie Skar vermutet hatte, der Mann, der am Anfang das Wort ergriffen hatte. »Wir werden ihm das beste Pferd geben, das wir haben.«
»Wie schön«, antwortete Marna. Er klang gelangweilt.
»Und jetzt sollten wir von hier verschwinden, bevor noch mehr von diesen Bestien auftauchen. Wenn ihr das Buch gefunden habt, dann gebt es
Ska
mit.«
Und damit riss er sein Pferd herum und sprengte ohne ein weiteres Wort davon.
Roun und seine Männer stammten aus einem Dorf, das eine halbe Stunde scharfen Trab östlich des Sturzes lag. Er und zwei seiner Begleiter waren zusammen mit Skar in die Sättel gestiegen und losgeritten, aber der größte Teil des Trupps war am Wasserfall zurückgeblieben — vermutlich, um nach dem
Buch
zu suchen, von dem Marna gesprochen hatte. Skar hatte sich gehütet danach zu fragen.
Er hatte überhaupt während des gesamten Rittes zurück ins Dorf sehr wenig gesprochen, dafür jedoch umso genauer zugehört und sich umgesehen. Die Landschaft hier war karg, hatte aber ihren eignen, schroffen Reiz und die zuerst spärliche und dann immer üppiger werdende Vegetation sah kräftig und gesund aus, so als wäre die Versorgung mit Wasser hier überhaupt kein Problem. Skar war sich nicht ganz sicher, ob er schon jemals hier gewesen war. Doch wenn, dann hatte sich die Gegend dramatisch verändert: Kleine Seen hatten sich in Senken gebildet, die merkwürdig frisch aussahen, und als sie einen schmalen Pfad zwischen ein paar zwergenhaften Kalypso-Bäumen hinabritten, erkannte er nicht weit entfernt zu seiner Rechten einen gigantischen Einbruch in der Landschaft, der aussah, als hätte ein unglaublich großer Riese zu fest aufgetreten.
Als sie aus dem Wald herauskamen und die Hand voll Hütten und einfacher Gebäude vor ihnen lag, wusste er bereits, dass Rouns Miliz tatsächlich die gesamte männliche Bevölkerung des Dorfes darstellte und dass sie in größerer Sorge gewesen waren, als sie zugeben mochten. Sie waren Marnas ausdrücklichem Befehl gefolgt, aber nun waren sie erleichtert ihr Dorf unversehrt und ihre Familien lebendig wieder zu sehen. Offensichtlich war das in dieser Gegend nicht unbedingt selbstverständlich.
Ihre Annäherung blieb nicht unbemerkt. Schon während sie den flachen Hang hinabgaloppierten, der den Waldrand von den ersten Häusern trennte, kamen ihnen einige Kinder entgegengelaufen, zu denen sich bald darauf auch noch etliche Erwachsene gesellten — Frauen, Alte, auch zwei oder drei Männer, die aber ausnahmslos verletzt oder krank zu sein schienen. Roun schien tatsächlich alle waffenfähigen Männer mitgenommen zu haben; eine ziemlich leichtsinnige Vorgehensweise, wie Skar fand.
Während Roun und seine beiden Männer absaßen und sein Pferd weiter am Zügel ins Dorf hineinführten — als Skar ebenfalls hatte absitzen wollen, hatte Roun so erschrocken den Kopf geschüttelt und dazu ein fast entsetztes Gesicht gemacht, dass er die Bewegung instinktiv nicht zu Ende geführt hatte —, musterte er den Ausdruck auf den Gesichtern der Dorfbewohner. Er entsprach im Großen und Gan-zen dem, den er erwartet hatte: Neugier, Scheu, Bewunderung — vor allem bei den Kindern —, hier und da eine Spur von Abneigung und Neid, aber auch Furcht. Skar war all dies gewohnt, aber weder in dieser Ausprägung noch in dieser
Verteilung
der zum Teil widersprüchlichen Gefühle. Er war es gewohnt, dass die Menschen ihn fürchteten; nicht einmal so sehr ihn,
Weitere Kostenlose Bücher