Enwor 11 - Das elfte Buch
und mit der ihm eigenen Schnelligkeit und Konsequenz. Seine rechte Hand schoss wie ein Falke nach oben, um ihr Handgelenk zu packen, gleichzeitig drehte er den Oberkörper zur Seite und so nah übers Feuer, dass die Hitze seine Augenbrauen versengte. Das scharf geschliffene Messer sauste mit unvermindert tödlicher Wucht auf seinen Hals hinab und ritzte die Haut, kurz oberhalb der Halsschlagader. Doch da umklammerte seine Hand auch schon Esannas Handgelenk; mit einer kräftigen Bewegung verdrehte er es so kräftig, dass ihr gar nichts anderes übrig blieb, als die Waffe mit einem Aufschrei loszulassen. Das Messer trudelte ins Feuer hinab und tauchte mit einem dumpfen Aufprall in die Hitze hinein. Funken stoben auf und begruben die Waffe unter sich in ihrer Glut.
Skar ließ Esannas Handgelenk wieder los und versetzte ihr einen Stoß gegen die Schulter, der sie ein paar Meter zurücktaumeln ließ. »Tu das besser nicht noch mal«, sagte er, ohne aufzusehen, aber jetzt wachsam und gespannt genug, um jeden weiteren Angriff schon im Ansatz abwehren zu können.
Esanna reagierte ganz anders, als er erwartet hatte. Statt sich wie eine Furie auf ihn zu stürzen, gab sie nur einen fast lautlosen, jammernden Laut von sich, griff dann mit der Linken nach ihrem Handgelenk und massierte die Stelle, an der Skar sie gepackt hatte. Der Satai beließ es dabei. Es hatte keinen Sinn, ihr Vorhaltungen zu machen; außerdem konnte er sie verstehen, nur zu gut sogar. Wahrscheinlich machte sie ihn allein für die Vernichtung ihrer Familie verantwortlich und sicherlich glaubte sie, dass er irgendetwas Entsetzliches mit ihr vorhatte — was sie allerdings nicht ungefährlich machte, denn Rache und Angst waren starke Motive für einen erbarmungslosen Angriff und möglicherweise bereitete sie schon jetzt die nächste Attacke vor.
Aus den Augenwinkeln gewahrte er eine zuerst fast unmerkliche Veränderung in ihrer Körperhaltung, die dann zur eindeutigen Absicht wurde: Esanna trat ein paar Schritt vor und damit so nah ans Feuer, dass die Flammen fast ihre Füße versengten. Im ersten Moment glaubte Skar, sie wollte nach dem von feuriger Gischt verschlungenen Messer greifen, aber dann begriff er seinen Irrtum — sie wollte mit ihm reden.
»Gebt mich frei«, sagte sie tonlos. »Ich bin Euch doch nur im Weg. Was will schon ein Herr wie Ihr von einem wertlosen Digger-Mädchen?«
Skar starrte wieder ins Feuer, beobachtend, wie die leckenden Flammen nach dem Messer griffen. Zuerst schien das gehärtete Metall dem Angriff zu widerstehen, doch dann machten sich erste Verfärbungen bemerkbar, ein Wechselspiel verschiedener Farben, ein violett-grünliches Flammenspiel, das ihm verriet, dass die Waffe aus billigem Eisen gefertigt worden war. Einen Herzschlag lang war er versucht, sie mit einem Ast aus der Mitte der Funken sprühenden, hell brennenden Holzscheite zu angeln, um Esanna nicht in Versuchung zu führen — doch eine unerklärliche und vor allem ungewohnte Trägheit hinderte ihn daran, diese einfache Vorsichtsmaßnahme durchzuführen.
Und vielleicht war es ja auch gar nicht so wichtig. Sollte Esanna wirklich mit einer schnellen Bewegung nach dem glühend heißen Messer greifen, würde sie eine unliebsame Überraschung erleben: Außer ein paar Brandblasen würde ihr das nichts einbringen. Skar blinzelte ein letztes Mal in die gleißende Helligkeit des Feuers und sah dann zu dem Mädchen hinauf. Ihre Blicke begegneten sich und schienen ein stummes Duell auszufechten; in Esanna Augen funkelte so viel Hass und Wut, dass es Skar fast erschreckte. Wenn sie nur im Entferntesten das Gefühl gehabt hätte ihn auf die eine oder andere Weise überrumpeln zu können, das begriff er in diesem Moment, dann hätte sie es getan.
»Ich werde jetzt einfach gehen«, sagte Esanna mit der Entschlossenheit eines kleinen Kindes, das seinen Kopf durchsetzen will. »Und auch Ihr werdet mich nicht aufhalten, Satai.«
Skar sah sie einen Augenblick vollkommen überrascht an, bis er begriff, dass sie es durchaus ernst meinte. »Du täuschst dich, wenn du glaubst, ich wollte dir irgendwelche Steine in den Weg legen.«
Esanna setzte zu einer wütenden Entgegnung an, verschluckte sich aber dann beinahe an den Worten, die ihr schon auf der Zunge lagen, als sie die Bedeutung seiner Worte begriff und trotzig fragte: »Und was soll das heißen?« »Wenn du gehen willst, dann geh«, sagte Skar ruhig und sich durchaus bewusst, dass sie andernfalls nicht Ruhe geben würde,
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