Enwor 11 - Das elfte Buch
er stürzte erneut und blieb wimmernd liegen. Dann erschlaffte der Mann so abrupt, als wäre er nicht mehr als eine Marionette gewesen, deren Fäden urplötzlich durchschnitten wurden.
Esannas Vater war tot.
ZWEITER TEIL
In der Falle Irgendwann mitten in dieser stürmischen und eiskalten Nacht erwachte Skar, atemlos und gehetzt und voller Unruhe. Er hatte geträumt, etwas Entsetzliches, unbeschreiblich Grauenhafes, aber er erinnerte sich an kaum mehr als ein Gefühl unendlicher Panik, das sich wie ein schwerer Druck auf seine Brust gelegt hatte. Trotzdem glaubte er für einen Moment dünne Fäden zu sehen, die sich um seinen Körper wanden, mit ekelhaft viel Verästelungen und zielgerichteten Bewegungen, so als wollten sie ihn einweben wie in einem gigantischen Spinnennetz, in dessen Mitte ihm das Schicksal die Rolle als Beute zugedacht hatte
und in ihm war eine Panik, als griffen eiskalte Finger nach ihm, die ihm die Luft zum Atmen aus dem Körper pressen wollten.
Der Sturm heulte noch immer mit ungebrochener Wut und trieb eisige Ausläufer in den Schutz der Höhle, in der sie kurz vor der Dämmerung Zuflucht gefunden hatten. Sie hatten großes Glück gehabt, dass sie den tobenden Naturgewalten noch in letzter Sekunde entkommen waren, und auch wenn die Höhle feucht, dunkel und muffig war und die strenge Ausdünstung von Tierkot ihn anfangs fast zum Würgen gebracht hatte, war sie ein ideales Versteck, ein Unterschlupf, um wenigstens in dieser einen Nacht zur Ruhe zu kommen. Doch statt sich auch nur halbwegs entspannen zu können, hatte er erst mit Esanna einen erbitterten und vollkommen sinnlosen Streit geführt und hatte dann lange nicht einschlafen können; dabei hätte schon alleine der eiskalte Wind gereicht, um ihm einen höchst unruhigen Schlaf zu bescheren.
Merkwürdigerweise fror er nicht, im Gegenteil; er schien von Innen heraus zu glühen, so als hätte er starkes Fieber.
Zu allem Übel hatte er entsetzlichen Durst, aber ihm fehlte selbst die Kraft, sich mit der Zunge über die Lippen zu fahren, und er erwachte auch nicht
wirklich.
Es war, als gestatte ihm der Traum — der kein Traum als solcher war, sondern ein unbegreiflicher Ausläufer dessen, das ihn hierher gebracht hatte — nur einen kleinen Ausflug an den Rand der Wirklichkeit, um ihm zu zeigen, dass er nichts weiter als ein Spielball unbekannter Kräfte war.
Doch die Szene, in der er sich wieder fand, war nicht die Gegenwart, konnte nicht die Gegenwart sein. Etwas hatte sich verändert. Er fand sich wieder in einer Vergangenheit, doch diesmal waren es nicht die Schatten seines früheren Lebens, nicht die Erinnerung an Del und Kiina, die nach ihm griffen, sondern etwas ganz Nahes, zu traumhaft, um vollkommen überzeugend die gestrigen Ereignisse im Detail wiederzugeben und doch so nah an der Realität, dass es fast körperlich greifbar war. Er sah sich vor Gor stehen, vor dem gewaltigen Quorrl, der ihn aus irgendeinem unbegreiflichen Grund schon bei ihrer ersten Begegnung
wieder erkannt
zu haben glaubte, und um das Leben Esannas schachern. Doch ganz anders als in der gestrigen Wirklichkeit standen hinter dem Quorrl' nicht nur wenige Schuppenkrieger, sondern eine riesige Armee, die wie ein endloser Ozean hinaus in ein gewaltiges Tal brandeten, sich auf den Hängen aneinander drängten, kaum genug Platz habend für ihre gezogenen Zackenschwerter und das andere Kriegsgerät, das sie für ihren Vernichtungsfeldzug gegen die Digger mitschleppten.
Er sah sich Esannas Hand ergreifen, als wäre sie sein eigen Fleisch und Blut, als wäre sie seine wieder auferstandene Tochter Kiina, deren Gebeine in der Wirklichkeit schon längst vermodert sein mussten, oder mehr noch, die Tochter, die er sein ganzes Leben lang in seinem Herzen getragen hatte, ohne ihr Abbild jemals auch nur im Entferntesten in der Wirklichkeit zu finden.
Die Szene verblasste, wurde zuerst seltsam farblos und doch gleichzeitig so intensiv, dass ihn das Geschehen fast schmerzte. Er sah sich selbst und Esanna einen hellen, lichtüberfluteten Korridor aus Bruchstücken der realen Welt entlangschweben, sah sich durch Städte, Häuser und Arenen gleiten, die wie alles Übrige auf dieser Welt fest verwoben waren mit einem ganz und gar unbegreiflichen Ganzen, vorbei an grotesk veränderten, farbig schillernden Menschengesichtern, die auf eine ganz neue, unfassbare Weise mit ihrer Umgebung verschmolzen, dann hinaustrieben, vorbei an Wäldern, Seen, Gebirgen, die gleich kostbaren
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