Enwor 11 - Das elfte Buch
bis er sie nicht gefesselt und geknebelt in eine Ecke der Höhle warf — oder bis sie einsah, dass jeder Fluchtversuch an den Unbilden der Natur scheitern würde. »Ich gebe dir sogar noch einen Rat auf den Weg: Such dir ganz schnell eine neue Unterkunft, eine Höhle oder zumindest einen tiefen Felsspalt, und sieh zu, dass du genug Holz findest, um dir ein Feuer machen zu können. Ansonsten wirst du bei dieser Witterung die Nacht wohl kaum überleben.« Esanna zögerte. »Heißt das, du lässt mich wirklich frei und ich kann machen, was ich will?«, fragte sie misstrauisch. »Auch zurückgehen in mein Dorf?«
»Natürlich«, nickte Skar. »Ich werde dich nicht daran hindern.«
Aber vielleicht die Quorrl,
fügte er in Gedanken hinzu.
In Esannas Augen glitzerte kalte Entschlossenheit. Sie war wohl noch zu jung, den Ernst seiner Warnung zu begreifen und ihn gegen den Drang abzuwägen, ohne ihn die Nacht zu verbringen. Alles was sie sah, war die Chance sich von ihm zu befreien, ohne zu begreifen, dass sie ohne den Satai kaum mehr als ein paar Stunden in der stürmischen, menschenfeindlichen und nebelverhangenen Nacht überleben würde. Aber trotzdem — sie war nicht die Erste und würde nicht die Letzte sein, die für einen Hauch trügerischer Freiheit bereit war ihr Leben aufs Spiel zu setzen. Irgendwie neidete Skar ihr diese jugendliche Naivität.
»Also dann«, sagte sie und unterstrich ihre Worte mit einer kurzen, entschlossenen Geste und
dann schien sie ein kurzes Flackern zu durchzucken, sich ihre Gestalt aufzulösen und genauso ihr Gewand und die vorgestreckten Hände, während der Rest ihres Körpers noch in der letzten Bewegung erstarrt war und in Feuerwirbeln auseinander jagte, zu schwirrenden grellweißen Funken wurde…
Zurück in der Gegenwart war er sich trotzdem im ersten Moment nicht sicher, ob er nun wirklich erwacht war oder ob er nur eine besonders niederträchtige Fortsetzung des Alptraums erlebte. Sein ganzer Körper war ein einziger, brennender Schmerz und er hatte ein fürchterliches Brennen in seiner Kehle; es war ein Gefühl, als hätte er tütenweise Sand geschluckt und danach tagelang keine Quelle, keinen Bach, kein Rinnsal gefunden, um seinen entsetzlichen Durst zu stillen. Das erstickende Gefühl war so stark, dass er noch nicht einmal frei husten konnte, geschweige denn schlucken. Das Schlimmste aber: Er war auf eine widernatürliche Weise in zwei Wirklichkeiten hinein erwacht. Auf der einen Seite lag er in der alles verschlingenden Kälte inmitten der stürmischen Nacht mit dem leisen Knistern und Prasseln des erlöschenden Feuers neben sich und auf der anderen Seite war es der Abend zuvor, an dem er eingenickt war, kaum dass Esanna die Höhle verlassen hatte. Während ihn der brennende Durst fast um den Verstand brachte, fühlte er sich zerrissen, als ob zwei Personen in ihm wären: Der gestern
Abend Schutz suchend in diese Höhle eingekehrte Skar und der von einem Alptraum gebeutelte Skar, der wenige Stunden später in einen alles verschlingenden Wahnsinn hinein erwachte.
Es dauerte nicht lange, bis ein Geräusch am Höhleneingang davon kündete, dass jemand von draußen hereintappte, jemand, der so müde, erschöpft und wahrscheinlich verfroren war, dass er kaum noch gerade gehen konnte, sondern eher darum kämpfen musste, noch einen Fuß vor den anderen zu setzen. Skar brauchte nicht aufzusehen, um zu wissen,
wer
das war, der da triefend und erschöpft von einem vermeintlichen Ausflug in die Freiheit zurückkehrte.
»Schon gut«, sagte Esanna, als sie zitternd und nass wie eine Flussratte, die stundenlang einen Kanal durchschwommen hatte, ans Feuer trat, »du brauchst nichts zu sagen.«
Skar stemmte sich auf den Ellbogen, um zu erkennen,
welche
der Esannas ihn angesprochen hatte. Die Feuerstelle schien währenddessen zu eigenem, gespenstischem Leben erwacht zu sein: Sie sprang zwischen fast erloschen und munter prasselnd ständig hin und her. Auch Esanna war von der Veränderung betroffen; durch ihre Gestalt ging ein ständiges Flackern wie von irisierendem Licht und ihre Konturen verschwammen im raschen Wechsel, so als könnten sich seine Augen nicht entscheiden, wie sie sie sehen wollten. Doch in beiden Fällen stand sie vor Kälte geschüttelt vor ihm und ihre Kleidung war so voller Feuchtigkeit, dass sich dunkle Flecken auf ihr abzeichneten.
»Ja«, krächzte er, benommen und immer noch gefangen in dem Traum
(welchem Traum? Zu welcher Zeit?)
und er wunderte sich, dass
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