Enwor 11 - Das elfte Buch
seine zerstörte Kehle überhaupt einen Laut hervorgebracht hatte.
»Es ist nichts dort draußen«, stieß Esanna wütend hervor und deutete hinter sich auf den Höhleneingang, »nichts, außer einem Schneesturm und Dunkelheit und Nebel —warum musstest du mich auch ausgerechnet in diese verdammte Gegend mitschleppen?«
»Weil…«, sagte Skar und versuchte sich verzweifelt an das zu erinnern, was er hatte sagen wollen. Er kämpfte gegen das Gefühl an, dass die Wirklichkeit abrutschte, dass sie sich wie ein Boot in stürmischer See überschlug und ihn mitriss in die alles verschlingende Unendlichkeit. Esannas Frage war berechtigt, das begriff er, doch gleichzeitig schien es ihm unmöglich, sie zu beantworten — vielleicht, weil es keine Antwort gab oder weil die Antwort zu schrecklich war, um sie sich bewusst zu machen, oder weil jemand —etwas — ihn daran zu hindern suchte, den Gedanken weiterzuverfolgen…
»Weil was?«, fragte Esanna.
Die Antwort, die Antwort… Sie war von zentraler, fast lebenswichtiger Bedeutung. Sicherlich, er hatte sich schon oft in den verrücktesten Situationen befunden und nicht gewusst, ob er überhaupt die geringste Chance hatte, den nächsten Tag unversehrt oder zumindest lebend zu erreichen — aber das hier war etwas ganz anderes, etwas viel Bedrohlicheres, auch wenn es nur um die Beantwortung einer an sich simplen Frage ging.
Und dann, von einer Sekunde auf die andere, ging die Welt um ihn abermals zu Bruch, tanzten bunt schillernde Farbkreise um ihn herum und verschlangen alles, was er vorher noch mit durchbrochener Klarheit hatte sehen können, rissen das gerade noch Sichtbare in einen gigantischen Strudel mit sich hinab, zerstörerisch, verschlingend und vernichtend… Sand füllte seinen Mund, knirschte zwischen seinen Zähnen, kroch brennend und heiß unter seine Kleidung und scheuerte auf seiner bloßen Haut; ein grauenhaftes Gefühl, als würde er unter Sandmassen verschüttet, die ihn zuerst nur ausgedörrt hatten, um ihn jetzt gänzlich zu ersticken, als wollten sie ihn lebendig unter sich begraben, ihn, den ja schon seit einer kleinen Ewigkeit Toten und Verdammten, ihn, der keine Lebensberechtigung mehr hatte außer Es zu dienen, seinen Auftrag zu erfüllen, der Welt den Willen des
Unbegreiflichen
aufzuzwingen…
Die Welt um ihn herum explodierte in tausend Farben, in tausend Splittern, nur um dann wahnsinnig rasch,
aber irgendwie verkehrt und verdreht
wieder zusammenzuwachsen. Die Magie der Bilder war gleichzeitig grauenvoll und entsetzlich schön, riss ihn allumfassend mit sich, ergänzt durch einen tausendfachen Choral brüllender, tobender, infernalisch kreischender Stimmen und knatternder Geräusche, die auf ihn eindrangen und den Rest seines Bewusstseins mit sich rissen, als wollten sie ihn mitnehmen auf eine Höllenreise ohne Wiederkehr und einen fürchterlichen Augenblick lang erkannte er ihn:
den Kern der Dinge, umgeben vom Feuerwerk netzförmiger Strukturen, die sich durch alles zogen, alles unterwanderten, nichts unberührt ließen, um, von einem unbekannten Trieb getrieben, immer weiter hinauszuwachsen in die Welt, bis sie auch den letzten Gegenstand, jeden Menschen und jedes beliebige andere Lebewesen in Besitz genommen hatten…
…
und auch ihn und Esanna, die miteinander verwoben waren, sich im Tiefsten bereits in dem Moment erkannt hatten, als sie sich zum ersten Mal gegenübergestanden hatten, in all ihrer Fremdartigkeit und trotz des drohenden Abgrunds der Zeit, der zwischen ihnen klaffte. Aber da war noch etwas anderes, etwas, das sich vom Anfang der Zeit, vom Nabel der Welt, vom Ursprung her ausdehnte und in sie hineinfraß, das gleichzeitig erschreckend fremd und unglaublich vertraut war. Es bohrte sich in ihn hinein und, dessen war er sich mit erschreckender Klarheit bewusst, gleichzeitig auch in Esanna, suchte nach etwas, nach einer Antwort, nach dem Erkennen. Das Tasten und Suchen in seinem Geist wurde stärker, glitt hinab auf eine Ebene seines Bewusstseins, die ihm bislang vollständig verschlossen geblieben war, und noch tiefer, tief unter sein Denken und Fühlen und bis auf den Grund seiner Seele und…
… plötzlich stand sie wieder vor ihm.
Esanna.
Auch er stand nun und es war etwas ganz Selbstverständliches in dieser schmerzhaft vertrauten Art, mit der sie sich gegenüberstanden, wie zwei Menschen, die sich lange nicht gesehen hatten und nun nicht wussten, wie sie miteinander umgehen sollten. Zitternd starrte sie Skar
Weitere Kostenlose Bücher