Enwor 11 - Das elfte Buch
genommen hast!«
Während sie ihre bittere Anklage vorbrachte, hatte sich ihr Gesicht zunehmend verfinstert. Doch es war wohl nicht Wut, die sie so hatte sprechen lassen, sondern Trauer und je mehr sie sie übermannte, umso mehr brach ihre Selbstbeherrschung zusammen. Die damit einhergehende Veränderung erschreckte ihn: Die soeben noch tapfere junge Frau wurde zum kleinen Mädchen, das vielleicht zum ersten Mal die ganze Tragweite des Geschehens begriff.
Sie schluchzte laut auf und in ihren Augen glitzerte es verdächtig. Ehe sie es verhindern konnte, rannen ihr Tränen die Wangen hinab; zwei feuchte Spuren des Entsetzens, gegen das sie sich jetzt nicht mehr zu wehren vermochte.
Skar hatte Männer und Frauen weinen sehen und das aus den verschiedensten Gründen. Vor allem Frauen setzten ihre Tränen manchmal als Waffe ein, aber genauso hätten sie versuchen können, ihn mit einem während eines Handstands ausgeführten Grimassenschneiden zu beeindrucken. Andere weinten vor tiefem Entsetzen und vor Trauer, was er zu gegebenem Anlass durchaus akzeptierte. Kinder aber, egal welchen Alters, die gerade unglaubliches Leid erlebt hatten: Deren Tränen hatte Skar kaum etwas entgegenzusetzen.
»Es tut mir Leid«, sagte er leise. »Ob ich mitschuldig bin an der Vernichtung deines Dorfes oder nicht: Es tut mir Leid.«
»Was… was nutzt das jetzt noch?« Esanna wandte sich ab und wischte sich mit dem Ärmel ihres Gewands über die Augen. Das machte es beinahe noch schlimmer. Hätte sie ihren Tränen freien Lauf gelassen… aber so, dieser Versuch Gefühle unter Kontrolle zu bringen, die nicht dafür da waren, kontrolliert zu werden — das schmerzte Skar mehr, als er im Augenblick ertrug.
»Es ist vorbei«, sagte er. »Du hast nichts zu befürchten.
Im Gegenteil.«
Doch während er es aussprach, wusste er, dass es eine Lüge war. Es war beinahe so, als wäre durch ihre Tränen ein Schleier ganz besonderer Art von seinen Augen gerissen worden.
Glaubst du wirklich, dass dich nur ein Zufall dazu gebracht hat, dieses Mädchen mitzunehmen, sie ihrem Vater und den Quorrl zu entreißen?,
fragte eine Stimme in ihm. Er glaubte es natürlich nicht. Er hatte sich während des Gemetzels in Esannas Heimatdorf beinahe so verhalten, als sei sie
seine
Tochter und nicht die eines zweifelhaften Diggers, die er einer Todesgefahr entreißen musste.
Sie wollte antworten, aber Skar trat rasch auf sie zu, von einem Impuls getrieben, der ihn wohl selbst mehr überraschte als sie, schloss sie in die Arme und presste sie an sich wie ein Ertrinkender, der Halt sucht. Seine Umarmung war fest, viel fester als nötig gewesen wäre. Er spürte es, lockerte den Griff ein wenig und strich ihr übers Haar, sanft und doch voller Selbstverständlichkeit, wie man den Kopf eines Kindes streichelt, das Schutz vor einem Erwachsenen sucht.
»Deswegen dieses Wortspiel mit Ska statt Skar«, stammelte Esanna. »Du wolltest nicht erkannt werden… aber wie kann es sein, dass du hier bist?«
»Dreihundert Jahre nach meinem Tod, meinst du?«, fragte Skar ohne jede Bitterkeit. »Ich weiß es nicht. Aber es hat auch etwas mit… mit dir zu tun.« Er versuchte die Worte aufzuhalten, die aus ihm herausdrängten, aber es gelang ihm nicht. Die ganze Zeit über war etwas in seinem Kopf blockiert gewesen, hatte er noch nicht einmal ernsthaft über die Frage nachgedacht, warum er Esanna erst gerettet und dann mit in diese Einöde geschleppt hatte. Dabei gab es nur eine Antwort: »Es gibt eine Aufgabe, die ich zu lösen habe, und bei der ich auf deine Hilfe zählen muss.«
»Ein Aufgabe, bei der ich dir helfen soll?«, echote Esanna entsetzt und schob ihn automatisch ein kleines Stück von sich, ohne sich aber aus seiner Umarmung zu lösen. »Was soll das heißen? Ich bin doch nur ein einfaches Digger-Mädchen.«
»Da bin ich mir nicht so sicher«, murmelte Skar.
Esanna reagierte ganz anders auf seine Worte, als er erwartet hatte: Sie begann am ganzen Körper zu zittern. »Das ist nicht wahr«, stammelte sie.
»Was ist nicht wahr?«, fragte er, während seine Hand tröstend und doch gleichzeitig fast spielerisch durch ihr glattes, schwarzes Haar fuhr. »Ist es nicht wahr, dass es eine Verbindung zwischen uns beiden gibt, die wir im gleichen Moment gespürt haben, als wir uns zum ersten Mal gesehen haben? Ist es nicht wahr, dass du es genauso gespürt hast wie ich?«
»Ich weiß nicht…« Durch Esannas Körper ging ein leichtes, kaum spürbares Zittern. »Es macht
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