Enwor 11 - Das elfte Buch
anderem Platz und…
Der Flammenschein wurde heller und die Luft merklich wärmer. Die zyklopische Mauer, in deren Schatten Kiina und er immer noch standen, war unversehrt geblieben, aber das, was sich vor ihnen erstreckte, war ein Schlachtfeld, die Reste einer Stadt, die ihren Bewohnern zum Grab geworden war. Die von Gewalten zermalmt worden war, die sich Skar weder vorstellen konnte noch vorstellen wollte. Was von den Häusern und Palästen noch stand, das waren ausgebrannte Ruinen, den geschwärzten Skeletten großer gepanzerter Tiere gleich, zwischen denen es hier und da noch immer brannte, ungeachtet des unablässig strömenden Regens. Die Straßen waren voller Schutt und verkohlter Trümmer und über allem lag Staub, den der Regen zu einer schwarzen, schmierigen Schicht gemacht hatte. Und überall lagen Tote — verkrümmte Gestalten in den schmucklosen grauen Mänteln der Errish, Dienstboten, Krieger, Männer, Frauen, Kinder… der Tod hatte keinen Unterschied gemacht, wo und bei wem er zuschlug.
Es war ein erschreckender Gedanke, der ihn aus seiner Verwirrung riss:
Du stirbst, Satai. In einer Woche, längstens in einem Monat.
Er blickte überrascht hoch, als hätte jemand laut mit ihm gesprochen. Doch es war die Vergangenheit, die sich mit einem anderen Erinnerungsfetzen gemeldet hatte, wie schon so oft zuvor vollkommen unerwartet. Er wusste nicht, wer diese Drohung vor unendlich langer Zeit ausgesprochen hatte, aber er war sicher, dass er kurz darauf tatsächlich den Tod gefunden hatte…
Das Sternenfeuer ist keine Legende, Skar. Es existiert und es liegt in unserer Macht, es zu entfesseln. Willst du das? Willst du, dass ganz Enwor verbrennt?
»Ich will wissen, ich muss wissen, wer du wirklich bist«, sagte Esanna verzweifelt. »Du tauchst wie ein Gespenst aus der Vergangenheit auf und bringst Leid über mich und die meinen… Was soll das alles nur für einen Sinn haben?«
Skar schwieg. Es gab auch nichts, was er im Moment hätte sagen können. Zwischen ihm und Esanna bestand ein Graben, eine Mauer, die er niemals würde ganz einreißen können, selbst wenn er es gewollt hätte. Es waren zwei verschiedene Welten, seine und die ihre, getrennt nicht nur von den Jahrhunderten, die seit seinem Tod verstrichen waren, sondern auch von einem vollkommen unterschiedlichen Erfahrungshorizont, wie er verschiedener nicht hätte sein können: Während sie auf die dreihundertjährige Geschichte ihres Volks zurückblickte, aber auf nur wenige Jahre eigenen, bewussten Lebens, hatte er weit mehr Erfahrungen, Leid und Schmerzen aufgehäuf, als einem Menschenleben gut tat.
Seine einzige ruhige Zeit waren die friedvollen Jahre in den unendlichen Prärien Malabs gewesen, eine Zeit, die ihm damals langweilig und verschwendet vorgekommen war, während sie ihm mittlerweile als unendlich kostbar erschien. »Es tut mir Leid, dass ich dich da mit hineingezogen habe«, sagte er. »Morgen kannst du selbstverständlich deiner Wege ziehen.«
»Mit hineingezogen«, ächzte Esanna. »Scherzt du? Wer weiß, vielleicht machst du ja mit den Quorrl gemeinsame Sache, ohne dich könnten vielleicht mein Vater und alle anderen noch leben.«
»Glaubst du das wirklich? Wahrscheinlich haben die Quorrl schon seit Tagen den Angriff auf euer Dorf geplant. Es spricht vieles dafür. Wenn die Quorrl nicht blindwütig über irgendjemanden oder irgendetwas herfallen, dann planen sie ihre Aktionen sorgsam…«
»Was soll dieses Geschwafel,
großer
Skar?«, fragte Esanna. »Willst du dich damit rein waschen von der Schuld, die du auf dich geladen hast?«
»Nein«, sagte Skar, obwohl ihm schmerzlich bewusst war, dass sie, wenn auch vielleicht auf eine verdrehte Art, Recht hatte. »Ich will dir damit nur deutlich machen, dass jede Münze zwei Seiten hat. Und ich will dir klarmachen, dass ich euer Dorf nicht verraten habe, sondern dass seine Vernichtung in einem größeren Zusammenhang stand.«
»Das ist keine Antwort«, fauchte Esanna.
»Vielleicht habe ich auch keine Antwort für dich«, sagte Skar ärgerlich. »Vielleicht gibt es überhaupt keine befriedigende Antwort auf die Frage, warum jemand gewaltsam aus dem Leben scheiden musste. Vielleicht ist es immer eine Verkettung unglücklicher Umstände, die dazu führt.«
»Alles nur faule, stinkende Ausreden«, sagte Esanna verächtlich. »Nichts, was meinem Vater und den anderen das Leben wiedergibt. Nichts, was rechtfertigt, dass du uns nicht beschützt hast und damit unsere Vernichtung in Kauf
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