Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Enwor 4 - Der steinerne Wolf

Enwor 4 - Der steinerne Wolf

Titel: Enwor 4 - Der steinerne Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
glitt unsicher hierhin und dorthin und suchte schließlich den Blick Skars. »Ich verstehe das nicht«, murmelte er hilflos.
    »Was?«
    »Das Wetter«, sagte Herger. »Ich habe so etwas noch nie erlebt. Weder hier noch anderswo.«
    »Was hast du noch nie erlebt? Eis?«
    Herger machte eine ärgerliche Handbewegung. »Du weißt genau, was ich meine«, sagte er. »Die letzten Tage war es zu warm, und jetzt —«
    »Jetzt kommen wir gleich in Schnee«, beendete Skar den Satz. »Siehst du?« Er hatte den dünnen, weißen Streifen am Horizont schon vor einer geraumen Weile entdeckt, bisher aber geglaubt, es handele sich um eine weitere Nebelbank. Doch es war zu kalt für Nebel, und der sterile Geruch, der mit dem Wind heranwehte, sprach seine eigene Sprache.
    Herger schüttelte verwirrt den Kopf. »Das ist Irrsinn«, murmelte er. »Spielt denn jetzt schon die ganze Welt verrückt?«
    Skar antwortete nicht. Er hatte einen Verdacht — nicht erst jetzt, sondern schon seit langem, aber es war zu früh, ihn auszusprechen.
    »Schnee ist nicht das Schlechteste«, sagte er statt dessen. »Wir können wenigstens Spuren lesen und wissen, wer vor uns ist.« Herger schnaubte. »Das kann ich dir auch so sagen«, versetzte er ärgerlich.
    Skar lächelte. »Quorrl?«
    »Wenn es nur das wäre. Aber wo Quorrl sind, sind auch Soldaten nicht weit«, antwortete Herger. »Außerdem reicht der Schnee allein schon aus. Wir haben nicht die passende Kleidung, vergiß das nicht. Ich habe schon von Fällen gehört«, fügte er ironisch hinzu, »in denen Menschen erfroren sein sollen.«
    Skar grinste. »Wer leidet jetzt hier unter Verfolgungswahn? Du oder ich?«
    »Wahrscheinlich wirkt er ansteckend«, knurrte Herger böse.
    »Hast du schon einmal darüber nachgedacht, wie wir über den Fluß kommen sollen, bei diesen Temperaturen? Wir erfrieren, wenn wir durch das Wasser waten.«
    Skar deutete mit einer Kopfbewegung auf die kreisenden schwarzen Punkte unter der Sonne. »Warten wir ab, wie sie das Problem gelöst haben«, murmelte er. »Vielleicht erübrigt sich die Antwort auf diese Frage ja auch.«
    Herger setzte zu einer wütenden Entgegnung an, aber Skar ritt rasch weiter und sah demonstrativ zum Fluß hinunter.
    Die Temperaturen fielen weiter, nicht mehr ganz so schnell wie am Morgen, aber rasch genug. Nach einer Weile trabten sie wirklich über Eis, und die dürren Büsche rechts und links des Weges verwandelten sich in bizarre, blinkende Skulpturen. Skar hielt die Zügel nur mehr mit einer Hand und steckte die andere abwechselnd unter die Achselhöhle, um seine Finger geschmeidig zu halten, aber auch das nutzte nicht viel. Herger hatte recht — sie waren nicht dazu ausgerüstet, länger als ein paar Stunden diese Temperaturen auszuhalten. Selbst wenn sie nicht erschöpft und hungrig gewesen wären, würden sie spätestens in der zweiten Nacht erfrieren.
    Skar verscheuchte den Gedanken mit einem ärgerlichen Knurren, setzte sich im Sattel auf und konzentrierte sich auf das, was vor ihnen lag. Die zweite Nacht... er war nicht in der Lage, über solche Zeiträume vorzuplanen. Alles, was er von Anfang an hatte tun können, war reagieren. Abwarten, welchen Zug der Gegner machte, und sich darauf einstellen. Bisher war er auf diese Weise zumindest am Leben geblieben. Und eigentlich war das schon mehr, als er hätte erwarten dürfen.

B eiderseits des Flusses lag Schnee, eine dünne, durchbrochene weiße Decke, die sich vergebens das zu verbergen bemühte, was hier geschehen war. Da und dort hatten die Geier bereits mit ihrem grausigen Werk begonnen; der Schnee war aufgewühlt und mit roten Fleischfetzen bedeckt, und an manchen Stellen blinkte Metall durch das Weiß. Ein schwacher, süßlicher Geruch lag in der Luf, und im Heulen des Windes schienen noch die Schreie der Sterbenden mitzuschwingen.
    »Zwei Tage«, murmelte Skar. »Allerhöchstens. Vielleicht auch weniger.« Er ließ sich in die Hocke sinken, wischte mit dem Handrücken Schnee und vereisten Matsch vom Brustpanzer des toten Quorrl und versuchte, das Wesen herumzudrehen. Es gelang ihm nicht. Schließlich gab er auf, richtete sich wieder auf und sah zu Herger empor. Der Tote war nur einer von vielleicht fünfzig, die auf dieser Seite des Flusses herumlagen. Das Ufer war hier flacher, und aus dem schäumenden Wasser erhoben sich zahllose flache Steine. Hier und da konnte man trotz der reißenden Strömung und des schlammigen braunen Wassers den Grund des Flußbettes erkennen. Ein

Weitere Kostenlose Bücher