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Enwor 4 - Der steinerne Wolf

Enwor 4 - Der steinerne Wolf

Titel: Enwor 4 - Der steinerne Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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weißt du so gut wie ich. Also hör mit deinem sentimentalen Quatsch auf und laß uns weiterziehen. Wir schaffen noch ein paar Meilen bis zum Dunkelwerden.«
    »Und erfrieren irgendwo«, knurrte Skar. »Wir bleiben hier, Herger. Hier haben wir Holz und einen Schutz vor dem Wind, und die Geister der Toten, vor denen du dich so fürchtest, werden uns Wegelagerer und anderes Gesindel vom Hals halten.«
    »Und Plünderer anlocken«, sagte Herger lakonisch. »Ich habe meine Erfahrungen mit ihnen, Satai — wo ein Schlachtfeld ist, da sind auch Leichenfledderer nicht weit.«
    »Dann wird es wohl das Beste sein, wenn du Wache hältst, während ich schlafe«, sagte Skar. »Oder?«
    Herger starrte ihn einen Herzschlag lang mit unverhohlener Wut an, ehe er hemmfuhr und durch den Schnee davonstapfe. Skar wandte sich um, nahm die Satteltaschen und die zusammengerollten Decken von den Rücken der Pferde und begann das Nachtlager vorzubereiten. Die verkohlten Wagen bildeten einen unregelmäßigen Halbkreis, hinter dem man zumindest notdürftig vor dem Wind geschützt war, und auch der Schnee lag hier nicht so hoch wie draußen auf dem Schlachtfeld. Skar breitete die Dek-ken rechts und links des Feuers aus, legte ein wenig Holz nach und öffnete seinen Wasserschlauch, der leer war bis auf einen schalen, übelriechenden Rest. Skar schüttete ihn aus, beugte sich noch einmal prüfend über den Quorrl und ging dann zum Fluß hinunter. Herger hatte sich in der entgegengesetzten Richtung entfernt und stand, reglos und den Blick starr nach Norden ge-
    richtet, auf der Kuppe eines Hügels. Das rote Licht der untergehenden Sonne verwandelte seinen Körper in einen schwarzen, flachen Schatten. Skar überlegte einen Augenblick, ob er zu ihm gehen und ihn um Verzeihung bitten sollte, tat es aber dann doch nicht. Vielleicht war es das erste Mal in Hergers Leben, daß er mit eigenen Augen sah, wie die Welt, in die er hineingeboren war, wirklich beschaffen war. Er mußte damit fertig werden, je eher, desto besser.
    Skar versuchte sich zu erinnern, was er empfunden hatte, damals, vor (wie vielen Jahren eigentlich? Dreißig? Vierzig?), vor so langer Zeit, als er wie jetzt Herger als junger Satai-Novize auf einem Hügel über einem Schlachtfeld gestanden und auf das schreckliche Bild hinuntergesehen hatte. Er wußte nicht mehr im einzelnen, wie es gewesen war. Er hatte seitdem zu viele Schlachtfelder gesehen, zu viele Kämpfe gekämpft und zu oft dem Tod ins Auge geblickt, um wirklich noch zu wissen, was Furcht war. Er war... ja, abgestumpft, so wie jeder, der mit der Waffe in der Hand lebt und für den Tod Leben bedeutet, irgendwann abstumpft. Aber Skar hatte nie vergessen, wie schlimm es gewesen war, damals. Er konnte sich nicht mehr an Einzelheiten erinnern, doch der ungläubige Schrecken, der alle anderen Gefühle überwog, war ihm deutlich in seiner Erinnerung haftengeblieben. Der Schrecken und die Frage, was Menschen dazu bringen konnte, so etwas zu tun.
    Er hatte nie eine Antwort auf diese Frage gefunden. Und irgendwann hatte er auch aufgehört, nach ihr zu suchen.
    Er verscheuchte den Gedanken und ging weiter. Vom Fluß wehte ihm Kälte wie ein eisiger Hauch entgegen, und zwischen den flachen Steinen, die den Verlauf der Furt markierten, hatte sich Eis angesammelt. Skar betrachtete die durchbrochene weiße Linie stirnmnzelnd. Wenn die Temperaturen weiter so niedrig blieben, dann würde das Eis in Kürze einen Damm an der flachen Stelle bilden, und der Fluß würde über die Ufer treten. Vielleicht ein würdigeres Begräbnis für die Toten, als den Geiern als Nahrung zu dienen.
    Skar blieb am Flußufer stehen. Auch im Wasser lagen Tote —nicht ganz so viele wie diesseits des Flusses, aber mehr, als er vorhin auf den ersten Blick gesehen hatte. Aber es waren nur Quorrl. Kein Mensch. Nicht ein einziger Angreifer.
    Er wandte sich nach links und ging flußaufwärts. Das Wasser war hier noch immer schlammig und braun, aber zumindest nicht mehr mit Leichen verseucht. Trotzdem kostete es ihn enorme Überwindung, am Ufer niederzuknieen und seinen Schlauch zu füllen. Bei dem Gedanken, das Wasser am Morgen, wenn auch ahnungslos, getrunken zu haben, drehte sich ihm noch jetzt der Magen herum.
    Er trank, füllte seinen Schlauch und band die Öffnung sorgfältig zu, ehe er zu Herger und ihrem Lager zurückging. Die Sonne berührte den Horizont, als er am Feuer anlangte und sich wortlos neben Heger niederließ. Die Schatten wurden länger, und die

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