Enwor 4 - Der steinerne Wolf
Züge richtig auszumachen. Wenigstens war zu erkennen, daß sie nicht so jung war, wie Skar erst vermutet hatte.
»So könnte man es nennen«, fuhr sie nach einer Weile fort.
»Und er hat euch zu uns geschickt?«
Skar nickte und schüttelte gleich darauf den Kopf. »Nicht direkt«, sagte er hastig, als er den fragenden Ausdruck in Legis' Augen sah. »Er ... hat im Fieber geredet. Ich war mir nicht sicher, ob er die Wahrheit sprach.«
»Und trotzdem seid ihr hierhergekommen?« fragte Legis erstaunt. »Ein ziemliches Risiko.« Wieder schwieg sie einen Moment. Sie wandte sich um, tauschte einen Blick mit einem der Quorrl-Krieger und fuhr sich mit einer unbewußten Geste über die Stirn; eine Bewegung, als sei sie es gewohnt, von Zeit zu Zeit eine lästige Haarsträhne aus dem Gesicht zu wischen.
»Wo habt ihr ihn gefunden?«
»Am Fluß«, antwortete Skar. »Einen Tagesritt von hier. Es hat eine Schlacht gegeben, unten an der Furt. Er war der einzige Überlebende.«
»Und ihr habt ihn mitgenommen — dreißig Meilen durch unbekanntes Land voller Gefahren.« Ein seltsamer Ton, dessen Bedeutung Skar nicht klarwurde, schwang in ihrer Stimme mit.
»Warum? Als Geisel? Oder habt ihr gedacht, er würde euch helfen, wenn ihr auf Quorrl trefft?«
Ihr Blick war mit einem Mal lauernd geworden, aber Skar schwieg. Und Legis schien auch nicht mit einer Antwort zu rechnen. Sie wandte sich um, ging mit raschen Schritten zu den Quorrl-Kriegem zurück und begann, gedämpft mit ihnen zu sprechen. Skar konnte nicht verstehen, was sie sagten, aber einer der Schuppenkrieger deutete mehrmals auf ihn und Herger, was Legis jedesmal mit einem energischen Kopfschütteln quittierte. Der Quorrl war erregt, das war trotz seines ausdruckslosen Fischgesichts deutlich zu erkennen, und er sprach laut, nur eine Winzigkeit davon entfernt, loszuschreien.
Skar verfolgte den Disput eine Weile, ehe er zu Herger zurückging. Der junge Hehler hatte die ganze Zeit kein Ton gesagt, aber jede Bewegung Legis' und der Quorrl aus angstvoll geweiteten Augen verfolgt. Seine Hand lag noch immer auf dem Griff seines Schwertes, obwohl er genau wissen mußte, wie nutzlos die Waffe war.
Skar warf ihm einen warnenden Blick zu, schwieg aber. Die Quorrl starrten — mit Ausnahme des einen, der noch immer mit Legis stritt — zu ihnen herüber, und Skar war sicher, daß mindestens einer unter ihnen war, der ihre Sprache sprach und jedes Wort mißtrauisch verfolgte. Die Quorrl verhielten sich ruhig, aber die Tatsache, daß sie noch nicht angegriffen hatten, bedeutete nicht, daß sie es nicht nachholen würden — Legis' Worte hatten freundlich geklungen, aber Skar hatte die unausgesprochene Drohung darin sehr wohl bemerkt. Und auch er konnte sich eines immer stärker werdenden Gefühls der Furcht nicht erwehren, während er die stumm dastehenden Krieger betrachtete. Es waren Giganten, selbst für Quorrl-Verhältnisse. Legis mußte ihre Begleiter sehr sorgfältig ausgewählt haben — jeder einzelne war einen guten Kopf größer als Skar und so breitschultrig, daß sich ein normal gewachsener Mann bequem dahinter hätte verstecken können.
Die Schwerter und Streitäxte in ihren Fäusten wirkten wie Spielzeuge. Skar bezweifelte, daß er auch nur mit einem einzigen von ihnen fertig geworden wäre.
Herger fingerte unruhig an seinem Schwert herum. Sein Gesicht hatte alle Farbe verloren, und auf seiner Stirn perlte kalter Schweiß.
»Mach jetzt nur keinen Fehler«, zischte Skar ihm zu, ohne die Quorrl aus den Augen zu lassen. »Eine falsche Bewegung, und wir sind tot.«
»Das sind wir sowieso«, stammelte Herger. »Sie werden uns umbringen, Skar. Sieh dir diese Bestien doch an. Sie ... sie werden sich gleich auf uns stürzen.«
»Schweig!« zischte Skar. »Du redest uns noch um Kopf und Kragen!«
»Das tut er nicht«, sagte Legis ruhig. Skar zuckte zusammen, drehte sich halb um und starrte die Frau durchdringend an. Herger hatte trotz seiner Erregung leise gesprochen. Aber Legis schien über ein sehr feines Gehör zu verfügen.
»Ich ...«
»Du brauchst dich nicht zu entschuldigen, Satai«, fuhr sie gelassen fort. »Im Gegenteil — ich bin dafür, von Anfang an für klare Verhältnisse zu sorgen. Dein Freund haßt uns, aber das ist seine Sache.« Sie kam wieder näher, diesmal in Begleitung des Quorrl, mit dem sie bisher geredet hatte. Neben der kleinwüchsigen Frau wirkte der Krieger noch gewaltiger: ein grauer Koloß aus Schuppen und Knochen, der wie ein zum
Weitere Kostenlose Bücher
Die vierte Zeugin Online Lesen
von
Tanja u.a. Kinkel
,
Oliver Pötzsch
,
Martina André
,
Peter Prange
,
Titus Müller
,
Heike Koschyk
,
Lena Falkenhagen
,
Alf Leue
,
Caren Benedikt
,
Ulf Schiewe
,
Marlene Klaus
,
Katrin Burseg