Enwor 5 - Das schwarze Schiff
hinter seinen eigenen? Was war das, was da in ihm lauerte und ihn manchmal aus seinen eigenen Augen spöttisch ansah? Schließlich hatte er sich von dem Bild losgerissen und wieder den Sumpfmann angestarrt. »Aber selbst ohne das Zusammentreffen mit ihm wäre die Reise gefährlich und hart geworden, Yar-gan. Es ist ein weiter Weg zum Berg der Götter.«
»Vielleicht verspürte sie immer noch Angst vor Vela«, hatte Yar-gan vermutet. »Oder vor dem Kind. Vielleicht auch Angst, ihre Macht allein würde nicht ausreichen, mit ihm fertig zu werden.«
»Oder sie plante etwas, das nicht einmal die
Margoi
wissen durfe. Etwas, das —«
»Es nutzt nichts, wenn wir wild herumrätseln«, hatte der Sumpfmann ihn unterbrochen. Seine Stimme war plötzlich verändert; ungeduldig, beinahe drängend. »Wir müssen sie suchen, Skar.«
Suchen...
Um ein Haar hätte Skar schrill aufgelacht. Allein der Gedanke, in dieser Hölle aus Kälte und Weiß einen einzelnen Menschen suchen und — in wenigen Stunden — finden zu wollen, erschien ihm lächerlich. Aber er besaß einfach nicht mehr die Kraft dazu. In diesem Moment war etwas in ihm, etwas, das die ganze Zeit unter einem unerträglichen Druck gestanden hatte, vollends zerbrochen. Wäre Helth in diesem Moment erneut aufgetaucht, um ihn zu töten, er hätte sich nicht einmal mehr gewehrt. Yar-gans weitere Worte waren nicht mehr bis zu Skars Verstand vorgedrungen, und schließlich hatte sich der Sumpfmann schweigend umgewandt und war zu den Männern gegangen, um die Wirkung von Gowennas Beeinflussung rückgängig zu machen.
Eine Veränderung in seiner Umgebung ließ ihn aus seinen Gedanken schrecken. Er sah auf, wischte die Tränen, die Müdigkeit und Erschöpfung in seine Augen getrieben hatten, mit der Hand fort und blinzelte. Vor ihnen lag eine breite, von senkrechten, in Form und Größe nicht genau auszumachenden Wänden gesäumte Straße, deren Ende sich in flackernder grauer Dämmerung verlor. Das Eis war hier trüb, durchzogen von grauen Schlieren wie gefangenen Wolken und Millionen winziger feinverästelter Risse. Dieser Anblick ließ ihn für einen Moment an die Turmruine denken, aber der Schrecken, der diese Erinnerung begleitete, verging rasch.
Ein paar der Männer waren stehengeblieben, und er sah, daß Del —
Yar-gan,
verbesserte er sich hastig in Gedanken — sich umgedreht hatte und heftig mit beiden Armen gestikulierte. Skar starrte ihn einen Herzschlag verständnislos an, ehe er begriff. Seine Gedanken bewegten sich zäh wie Lava. Er lud sein Bündel ab, öffnete die Spange seines Mantels, um bequemer gehen zu können, und eilte auf den Sumpfmann zu.
»Helth?« fragte er. Seine Stimme versickerte in der Luft, aber Yar-gan hätte ihn auch verstanden, wenn er ihn nicht direkt angesehen hätte. Er schüttelte den Kopf, trat beiseite und deutete nach vorn. Skar folgte der angezeigten Richtung und fuhr zusammen.
Der Weg gabelte sich vor ihnen; nach links führte die Straße so breit und eben wie bisher weiter, zur anderen Seite hin wurde sie schmaler und stieg gleichzeitig sanft an. Aber sie würden nicht frei wählen können, denn auf der linken Seite, fünfzig, allerhöchstens sechzig Schritt entfernt, standen zwei gewaltige, weiß schimmernde Gestalten — die beiden Eiskrieger, die ihnen vom See her gefolgt waren!
Skar erkannte sie sofort wieder, obwohl sie sich weiter verändert hatten und halb hinter wehenden weißen Schwaden verborgen waren, die wie Dampf vom Boden aufstiegen.
Yar-gan wollte sein Schwert ziehen, aber Skar hielt ihn mit einem raschen Kopfschütteln zurück. Es war wie die ersten beiden Male, als sie auf zwei dieser unglaublichen Wesen gestoßen waren — er wußte einerseits, daß der Gedanke schlichtweg lächerlich sein mußte, aber er spürte andererseits einfach, daß diese Krieger aus Eis nicht kämpfen
wollten.
»Nicht«, sagte er leise. »Das hat keinen Zweck, Del.«
Yar-gan schob seine Waffe gehorsam in die Scheide zurück, sah Skar aber weiter verwundert an. Skar ignorierte seinen Blick und starrte weiter zu den gewaltigen weißen Gestalten vor ihnen hinüber.
Sie kamen ihm größer vor als bisher, gleichzeitig aber auch schlanker, besser proportioniert und auf bedrückende Weise
menschlicher,
obwohl sich an ihrem Äußeren nichts geändert zu haben schien: Sie waren immer noch gigantisch, weiße Titanen, deren Körper und Rüstung eins waren, deren Hände mit Schwert und Schild verwachsen und deren Gesichter aus dem
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