Enwor 5 - Das schwarze Schiff
jedesmal, wenn Skar glaubte, nun endlich die unterste Sohle dieses furchteinflößenden grauweißen Labyrinths erreicht zu haben, klaffe ein neuer Abgrund, ein neuer Treppenschacht, eine weitere vereiste Rampe vor ihnen auf, ging es tiefer hinab in die Erde und den eisigen Panzer, der Cor-ty-cor erstickt hatte.
Die Eiskrieger waren hinter ihnen zurückgeblieben, als sie den Eingang gefunden hatten, aber Skar wußte, daß sie weiter in ihrer Nähe waren, so wie sie sie die ganze Zeit wie unsichtbare stumme Schatten begleitet hatten, sie beobachteten, vielleicht belauerten und warteten. Auch die Stimme in seinem Inneren schwieg. Aber es war nicht wie die Male vorher, als sie eingeschlafen war und er sie für tot und besiegt gehalten hatte. Sie wartete wie die Eiskrieger, wie Helth und die Macht, die ihn lenkte, wie Yar-gan und die Krieger, wartete auf etwas, von dem sich Skar keine Vorstellung zu machen wagte und das ihn trotzdem erschreckte. Mehr als irgend etwas, das er je zuvor in seinem Leben gespürt hatte.
Sie waren noch dreiundzwanzig, als sie den Hafen erreichten. Die graue Dämmerung teilte sich vor ihnen und gab den Blick auf eine glatte, wie polierter Stahl schimmernde Wand frei, auf deren Oberfläche sich die Gestalten der Männer wie bizarre Doppelgänger spiegelten. Durch einen halbhohen, wie fast alles hier unten in Größe und Form nicht wirklich zu erkennenden Durchgang gewahrten sie eine sichelförmige, von einem Gewirr ineinander verwachsener, brusthoher Eiszähne begrenzte Plattform. Es fiel Skar schwer, durch den Nebel aus Erschöpfung vor seinen Augen noch Einzelheiten zu sehen, aber über, unter und hinter ihr glaubte er die Wände einer titanischen Höhle zu erkennen. Der sterile Geruch des Eises war dem scharfen Aroma von Salzwasser gewichen. Der Boden unter seinen Füßen zitterte schwach, und das dumpfe Pochen, das jeden ihrer Schritte begleitete und das seine Phantasie zum Schlagen eines schwarzen Riesenherzens hatte werden lassen, war das Geräusch der Brandung, die irgendwo jenseits der Wand gegen einen eisigen Strand rollte. Plötzlich fürchtete sich Skar davor, den nächsten Schritt zu tun und auf den Balkon auf der anderen Seite zu treten. Für einen kurzen Moment verspürte er eine irrsinnige Furcht, Angst, dort hinüber zu gehen und vielleicht nichts als eine weitere leere Katakombe zu entdecken, zu erkennen, daß dieser Hafen leer und tot wie der Rest Cor-ty-cors war, und sich eingestehen zu müssen, daß ihre letzte Hoffnung zerbrochen und alles, was sie noch erwarten konnten, ein hoffentlich rascher Tod war. Aber auch diese Furcht verging, versank in der Woge von Schwäche und Müdigkeit, die seine Gedanken einzunebeln begann. Als hätten sich jetzt selbst seine Instinkte gegen ihn gewandt, gab ihm der Anblick nicht noch einmal jenen verzweifelten Trost, den er mobilisieren sollte, sondern lähmte ihn. Er kam sich vor wie ein Verdurstender, der nach tagelangem Marsch durch die Wüste das rettende Wasserloch gefunden und nicht mehr die Kraft hatte, die letzten zwei Meter zu kriechen.
Er blieb stehen, atmete ein paarmal tief durch und hob die Hand, um auch die Männer zum Anhalten zu bewegen. Einige blieben stehen, andere sanken wortlos zu Boden oder gegen die Wände, ein paar marschierten auch einfach weiter, zu erschöpft, um das Zeichen zu sehen, oder zu kraftlos, um noch darauf zu reagieren. Eine der ausgemergelten Gestalten brach direkt vor Yar-gans Füßen zusammen, krümmte sich und rang mit einem schrecklichen, pfeifenden Laut nach Luft. Der Sumpfmann beugte sich zu ihm hinab und berührte seine Stirn; der Atem des Mannes beruhigte sich, und der erstarrte Ausdruck von Schmerz auf seinen Zügen wich dem einer tiefen Entspannung. Aber Skar wußte, daß die Hilfe, die Yar-gan den Männern spenden konnte, trügerisch und nur von kurzer Dauer war. Es traf zu, was er selbst gesagt hatte: Er konnte ein wenig täuschen und Dinge vorgaukeln, die nicht wirklich waren; nicht nur dem Geist, sondern auch dem Körper. Die Kraft, die er dem zu Tode Erschöpften gab, war seine eigene, Teil seiner letzten Reserven, die er mit dem verborgenen Wissen seiner Art zu wecken imstande war. Aber sie waren fast aufgebraucht. Selbst den Kräften des Sumpfmannes waren Grenzen gesetzt, und er hatte sie erreicht.
Skar lehnte sich erschöpft gegen die Wand, atmete erneut tief durch und versuchte vergeblich, noch so etwas wie Hoffnung in sich zu entdecken. Das Eis in seinem Rücken ließ ihn
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