Enwor 5 - Das schwarze Schiff
und Leben.
Skar war der letzte, der die Ruine verlassen hatte, und er hielt sich auch weiter am Ende der Kolonne — wie er sagte, um ihren Rücken zu decken, so wie Del sich an die Spitze ihrer zerschlagenen Armee gesetzt hatte, um Helth jeder Möglichkeit eines überraschenden Angriffes zu berauben —, in Wahrheit aber, um allein zu sein, nachdenken zu können (oder vielleicht auch gerade
nicht
denken zu müssen).
Es war noch mehr als eine Stunde vergangen, ehe Yar-gan den von Gowenna über die Männer gelegten Bann brechen konnte und sie endlich weitermarschiert waren. Der Sumpfmann war bemüht gewesen, Skar zu erklären, was sie getan hatte — es fielen Worte wie
Hypnose
und
suggestiver Block,
die aber Skar nichts bedeuteten und die er in diesem Moment auch gar nicht verstehen wollte. Im ersten Augenblick hatte er sich einfach geweigert, Yar-gans Worten zu glauben. »Das... das ist nicht wahr«, hatte er gestottert, schließlich ge-schrien, ohne weiter auf die Freisegler Rücksicht zu nehmen.
Yar-gan hatte einen Moment geschwiegen, ihn am Arm ergriffen und ein Stück in die Ruine hineingeführt, weit genug, um allein mit ihm und sicher sein zu können, daß keiner der anderen ihre Worte belauschen konnte. »Es ist wahr, Skar«, hatte der Sumpfmann ernst beteuert. »Du weißt, daß es so ist. Lausche in dich hinein. Frage deine Seele, und du wirst sehen, daß sie sie als das erkennt, was sie ist.« Skar hatte gespürt —
gewußt —,
daß Yar-gan die Wahrheit sprach, so sicher, wie er wußte, daß er er selbst und dieser Mann vor ihm nicht Del war. Und trotzdem war sein Verstand nicht bereit gewesen, die Wahrheit zu akzeptieren. »Sie... sie ist nicht einmal eine Errish«, hatte er hilflos gestammelt.
Yar-gan hatte den Kopf geschüttelt und ihn verständnisvoll, beinahe mitleidig, ohne daß es verletzend gewirkt hätte, angesehen und erwidert: »Sie ist viel mehr, Skar. Du und sie, ihr seid euch ähnlicher, als du ahnst. In ihr schlummern die gleichen Kräfte wie in dir, Skar. Ihr tragt beide das Erbe eurer Vorfahren, und es ist für euch beide Fluch und Segen zugleich.«
»Du meinst...«
»Ich meine das, was du deinen Dunklen Bruder nennst, Skar«, hatte ihn Yar-gan unterbrochen. »Die Stimme in deinem Inneren, die du so fürchtest und die doch ein Teil von dir ist, ein Teil, ohne den du nicht leben könntest. Das, was in deinem Kind sein wird. Vela hat diese Kraft erkannt, schon als sie Gowenna das erste Mal sah. Es war kein Zufall, daß sie dieses einfache Bauernmädchen mit sich nahm, Skar. Und es war kein Zufall, daß sie sie
nicht
zu den Errish brachte. Der Ehrwürdigen Mutter wäre ihre Begabung ebenfalls sofort aufgefallen, und es wäre Vela niemals möglich gewesen, sie für ihre Zwecke zu benutzen.«
Er hatte noch mehr gesagt, aber seine Worte waren nicht mehr in Skars Bewußtsein eingedrungen; er hatte sie zwar noch gehört, ohne aber ihren Sinn zu begreifen und ihre Bedeutung an seinen Geist weiterzuleiten. Er wußte, daß der Sumpfmann recht hatte. Gowenna war vor ihm in Combat gewesen, Jahre bevor er überhaupt erfuhr, daß es so etwas wie einen Stein der Macht gab, und sie war ihm näher gekommen als irgendein anderer lebender Mensch vor ihr. Sie hatte Vela widerstanden, obwohl der Errish die Macht der Alten zur Seite stand, und es war ihr sogar gelungen, die Sumpfmänner zu täuschen. »Ich... begreife das alles nicht«, hatte er nach einer Weile geflüstert. »Wenn es so ist — wenn du die Wahrheit sagst, Yar-gan, warum sind wir dann hier? Warum ist sie nicht in Elay geblieben? Niemand hätte eine Frage gestellt, niemand hätte es gewagt, an ihren Entscheidungen zu zweifeln. Die
Margoi
ist eine Göttin, Del! Warum diese Reise zum Berg der Götter?«
Yar-gan hatte plötzlich gelächelt, und Skar war zu Bewußtsein gekommen, daß er ihn
Del
genannt — und in diesem Moment auch mit Del geredet — hatte. Dann war er wieder ernst geworden. »Ich weiß es nicht, Skar. Ich habe versucht, ihren Geist zu ergründen, aber er ist mir verschlossen. Sie ist stark, viel stärker als du oder ich, auf ihre Weise. Und sie konnte nicht mit dem Dronte rechnen.«
»Konnte sie das wirklich nicht?« Skar hatte den Blick gesenkt und eine Sekunde lang das verzerrte Spiegelbild seines eigenen Gesichtes angestarrt, und für einen Moment war es ihm unwirklicher und fremdartiger als das Yar-gans vorgekommen. Er wußte, daß hinter Dels Zügen die grauen Schemen eines Schattengesichtes warteten.
Und
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