Enwor 5 - Das schwarze Schiff
etwas«, sagte Yar-gan. Er beugte sich weit vor, hielt sich mit der Linken an der Balkonbrüstung fest, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, und deutete mit der anderen Hand nach unten. Skar erkannte, was der Sumpfmann meinte: Etwa eine Meile entfernt schaukelten drei dunkle, gedrungene Schatten auf der Wasseroberfläche.
»Schiffe?« fragte er.
Yar-gan zuckte mit den Schultern. »Ich kann zwar etwas besser sehen als du, aber...« Er überlegte einen Moment, zuckte abermals mit den Achseln und richtete sich wieder auf. Das Eis war geschmolzen, wo er sich festgehalten hatte. Seine Hand hinterließ einen deutlichen Abdruck auf der weißen Fläche. »Holen wir die Männer und sehen nach«, sagte er. »Wenn es Schiffe sind, finden wir auch eine Möglichkeit, sie wieder seetüchtig zu machen und von hier zu verschwinden.« Plötzlich lächelte er. »Es scheint fast, als hätten wir ausnahmsweise einmal Glück, Skar.«
»Aber sicher«, erwiderte Skar bissig. »Wir müssen nur noch Vela und Gowenna finden, Gowennas Pläne durchkreuzen — wie immer sie aussehen mögen —, Helth unschädlich machen, die Eiskrieger besiegen und den Dronte vernichten. Mehr nicht.«
Gegen seine Erwartung wurde Yar-gans Grinsen noch eine Spur breiter. »Allmählich beginnst du wieder zu dem zu werden, der du einmal warst, Skar«, sagte er. »Ich habe deine herzerfrischende Art, einem Mut zu machen, schon immer geliebt.« Er lachte, drehte sich um und deutete auf den Stollen. »Warte hier. Ich hole die Männer.«
Skar blickte ihm verwirrt nach. Yar-gans Worte hatten ein seltsames Echo in ihm ausgelöst. Das Gefühl von etwas Vertrautem, denn der Sumpfmann hatte auf eine Weise und in einem Tonfall mit ihm geredet, wie er es sonst nur von Del gekannt hatte, aber auch fast so etwas wie Erstaunen über sich selbst. Plötzlich fiel ihm auf, wie sehr sich seine Gedanken geklärt hatten, seit sie aus dem Stollen heraus waren. Alles wirkte mit einem Mal wieder real und echt, selbst die Kälte und die zahllosen winzigen schmerzenden Wunden an seinen Gliedern- es war, als wäre ein Schleier von seinen Sinnen gezogen worden, als wären die vergangenen Tage wirklich nicht mehr als ein übler Traum gewesen, aus dem er allmählich erwachte. Yar-gan hatte recht gehabt- er schien zu erwachen wie aus einem tiefen, bedrückenden Schlaf, wurde wieder zu dem Mann, der er gewesen war, bevor dieser Alptraum begann. Selbst das Gefühl der Mutlosigkeit wich allmählich jenem Jetzt-erst-recht, das er von Del gelernt und das ihm schon so oft geholfen hatte. Und es ging schnell, sehr schnell. Der logische Teil seines Denkens sagte ihm immer noch, daß sie so gut wie verloren waren und nicht nur ein, sondern gleich ein halbes Dutzend Wunder brauchen würden, um diese Insel lebend zu verlassen, aber daneben war auch, noch schwach, aber mit jedem Atemzug an Kraft gewinnend, der alte Trotz, der Wille zu überleben, ganz gleich wie, weiterzukämpfen, auch wenn seine Lage noch so aussichtslos erschien.
Er spürte erst jetzt, wie sehr er dieses Gefühl vermißt hatte in den letzten Tagen. Und im gleichen Maße wurde ihm klar, wie oft er an den Tod gedacht hatte. Wie konnte er es geschehen lassen, daß er sich ihm näherte, es zulassen, daß er sich Stück für Stück an ihn herantastete, bis er ihm fast wie eine Erlösung erschienen war! Sein Blick wan-derte nachdenklich über die verzerrten Ränder des Eistunnels, durch den sie hierher gekommen waren. Yar-gan war dabei, die Männer zusammenzurufen — einigen mußte er helfen, überhaupt noch auf die Füße zu kommen —, aber ihre Gestalten kamen ihm unwirklich und beinahe transparent vor. Es gab eine unsichtbare Grenze, irgendwo zwischen dem Platz, an dem er stand, und dem Eingang zur Stadt, eine Linie, hinter der alles irreal und verschwommen wirkte; die Grenze zwischen seiner und der Welt der Sternengeborenen, die sie mit hierher auf Enwor gebracht hatten. Cor-ty-cor war mehr als eine tote Stadt, dachte er schaudernd. Der Geist, der ihre Mauern einst beseelte, war noch immer da. Die Seele der Stadt lebte noch, und sie war fremd und erschreckend wie ein schleichendes Gift, das in die Gedanken aller sickerte, die es wagten, sich ihr zu nähern. Cor-ty-cor brauchte keine Wächter, weder den Dronte noch die Eiskrieger oder Helth. Sie schützte sich selbst. Diese Stadt
war
der Tod, und sie tötete jeden, der sie betrat; langsam, fast unmerklich, aber unerbittlich.
Skar verscheuchte den Gedanken und drehte sich
Weitere Kostenlose Bücher