Enwor 5 - Das schwarze Schiff
Lippen. »Sieh sie dir doch an, Skar. Niemand hat eine solche Behandlung verdient.«
»Sie —«
»Ich weiß, was sie getan hat«, fiel ihm Del wütend ins Wort. »Aber das spielt jetzt keine Rolle mehr. Kein Mensch sollte so behandelt werden, wie Gowenna es mit ihr tut, ganz gleich, was er verbrochen hat.
Ich habe nichts gegen Bestrafung, aber das ist Quälerei. Es ist unwürdig.«
Skar sah alarmiert auf. In Dels Stimme war plötzlich ein neuer, fremder Klang, etwas, das ihn gleichermaßen erschreckte wie überraschte. War es wirklich nur normales menschliches Mitgefühl, was er in Dels Stimme hörte? dachte er erschrocken. Oder war es mehr? Ließ der Zauber der Sumpfleute nach?
»Und ich glaube, es schadet dem Kind«, fügte Del nach sekundenlangem Schweigen hinzu.
Skar ging wortlos an dem jungen Satai vorbei, kniete neben Vela nieder und blickte ihr ins Gesicht. Sie schlief nicht, das sah er jetzt, sondern war bei Bewußtsein — oder das, was in ihrem Zustand dem des Wachseins nahe kommen mochte. Trotz der Kälte war ihre Stirn mit einem Netz feiner, glitzernder Schweißperlen bedeckt. Zögernd streckte er die Hand aus und berührte ihre Wange. Ihre Haut fühlte sich trocken und fiebrig an.
Vela zuckte unter seiner Berührung zusammen und öffnete die Augen. Aber ihr Blick war leer; die Pupillen verschleiert und matt, beinahe gebrochen, als blicke er in die Augen einer Toten. Skar erschrak. »Du hast recht«, murmelte er. »Ich werde ihr sagen, daß sie die Droge wegläßt.«
Del schüttelte den Kopf. »Das ist es nicht allein«, sagte er. »Sieh sie dir doch an, Skar. Sie braucht einen Arzt. Haben wir einen Heilkundigen an Bord?«
Skar lächelte humorlos. »Ja«, sagte er. »Gowenna. Und sie selbst.«
Del ließ sich neben ihm in die Hocke sinken, legte die Hand unter Velas Kinn und hob ihren Kopf an. Ihre Lippen zuckten stärker, aber sie gab keinen Laut von sich. Ein rascher, krampfartiger Schauer lief durch ihren Körper. »Sie wird das Kind verlieren, wenn wir hier nicht schnellstens wegkommen«, murmelte er.
Vielleicht wäre es das beste so, dachte Skar. Aber laut sagte er nur: »Ich weiß.«
Zwischen Dels Brauen entstand eine tiefe Falte. »Ich weiß?« wiederholte er. »Und das ist alles?«
»Ich kann es nicht ändern«, antwortete Skar scharf. Seine Unsicherheit schlug urplötzlich in Zorn um. »Vielleicht gehst du hinunter und bittest den Dronte, uns freies Geleit zu gewähren. Er macht es sicher, wenn du ihm erzählst, daß wir eine Schwangere an Bord haben.«
Zu seiner eigenen Überraschung blieb Del ruhig. »Es ist immerhin dein Kind, Skar«, sagte er.
Skar stand auf und drehte sich mit einer abrupten Bewegung um.
»Dein Kind!« sagte er wütend. »Jetzt fang nicht bitte auch noch damit an. Mein Kind, mein Kind — ich kann es nicht mehr hören, Del. Ihr macht es euch alle ein bißchen sehr einfach, nicht? Dein Kind!« Wieso sollte er verantwortlich für dieses Kind sein, nur weil er zufällig der Vater war? Es war nicht sein Kind. Er hatte es nicht gewollt und hätte im Gegenteil mit aller Macht verhindert, daß es jemals gezeugt wurde, wäre er dazu in der Lage gewesen. Nein, dieses Kind war nicht von ihm. Wenn es überhaupt jemandes Kind war, dann das seines Dunklen Bruders.
Del sog scharf die Luft ein, schwieg aber seltsamerweise. In seinen Augen glomm ein Ausdruck auf, der Skar beinahe erschreckte. Kein Zorn — das hätte er verstanden. Furcht? War es jetzt soweit, daß selbst Del Angst vor ihm hatte?
»Ich werde nach Gowenna schicken«, fuhr er fort, ehe Del Gelegenheit hatte, auf seinen plötzlichen Ausbruch zu reagieren. »Ich rede mit ihr. Sie wird sich um sie kümmern.«
Del lachte leise. »O ja«, sagte er spöttisch. »Davon bin ich überzeugt. So, wie sie sich bisher um sie gekümmert hat.« Plötzlich bebte seine Stimme vor Zorn. »Begreifst du eigentlich nicht, was sie tut, Skar? Es geht mich nichts an, was zwischen dir und Vela war, und ich werde bestimmt nicht auch noch anfangen, dir Vorwürfe zu machen, wenn du solche Angst davor hast. Aber was Gowenna mit ihr macht, geht zu weit. Wenn dir dieses Kind schon egal ist, dann denke wenig-stens an den Eid, den du geschworen hast — daß du Leben schützen und Unrecht verhindern wirst, selbst wenn es dein eigenes Leben kostet, Skar. Gowenna bringt sie um, ganz langsam und ohne daß wir es bisher gemerkt haben. Wenn du sie weiter gewähren läßt, dann wirst du einen leeren Körper zum Berg der Götter
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