Enwor 6 - Die Rückkehr der Götter
Matsch gefüllt war, und aus dem angespitzte Stöcke und kurze, mit Widerhaken versehene Spieße ragten. Eine dünne, nur an zwei rasch zu durchtrennenden Seilen hängende Brücke führte über diesen Graben. Dahinter lag ein gut hundert Schritt breites Stück vollkommen freien Geländes, das sorgfältig von jeglicher Vegetation gesäubert worden war. Und hinter ihm das Lager.
Skar wußte nicht genau, was er erwartet hatte — aber es war nicht
das.
Enwass hatte ihm erzählt, daß viele den Weg über die Grenzen suchten. Aber vor ihnen erstreckte sich eine ganze Stadt aus kleinen, schmutzigweißen Zelten, säuberlich in geraden Linien aufgereiht, Hunderte in einer Reihe, und Dutzende von Reihen tief. Die Luft über dem improvisierten Zeltlager flimmerte von Staub und aufsteigender Wärme, denn überall zwischen den kleinen Notunterkünften flackerten kleine Feuer, und selbst über die große Entfernung hinweg hörte Skar das Summen Abertausender von Menschen, die wie Vieh zusammengepfercht waren. Es mußten Zehntausende sein, die hierher geflohen waren. Und Skar war nicht sehr sicher, ob sie hier die Freiheit fanden, um derentwillen sie ihr Leben aufs Spiel gesetzt hatten, denn das Lager war von einem übermannshohen, doppelten Zaun umgeben, zwischen dem bewaffnete Männer mit Hunden patrouillierten.
Abrupt blieb er stehen, kaum daß er den Graben überschritten hatte. »Was bedeutet das?« fragte er alarmiert. »Das ist —«
»Das Lager«, unterbrach ihn Gorrn kalt. »Was hast du erwartet? Einen Palast?« Er grinste hämisch. »Sicherlich. Du wirst ihn bekommen, aber im Moment... wir sind mit der Arbeit etwas im Verzug, weißt du? Ich werde meine Leute anspornen, für dich und deine Begleiter eine würdigere Unterkunft zu schaffen, aber bis der Marmor und die goldenen Möbel kommen, muß ich dich leider bitten, mit dem hier vorliebzunehmen.«
Skar starrte ihn an. »Was soll das?« fragte er noch einmal. »Das ist ein Gefangenenlager, Gorrn.«
Gorrn nickte ungerührt. »Und genau das seid ihr, Bauer«, antwortete er abfällig. »Jedenfalls so lange, bis wir entschieden haben, was mit euch zu geschehen hat.«
»Zu... geschehen?«
»Es ist Krieg, Tölpel!« antwortete Gorrn zornig. »Was denkst du dir? Jeden Tag kommen Hunderte wie du hier an, und jeder zehnte ist ein Spion oder Saboteur! Hast du gedacht, du müßtest nur kommen, um mit offenen Armen empfangen zu werden?« Er spie aus. »Verdammt, ich habe keine Lust mehr, mich mit euch Pack zu streiten! Du wirst tun, was ich sage, oder ich werfe dich eigenhändig zurück in den Fluß.« Wütend deutete er auf einen niedrigen, sechsbeinigen Tisch, der reichlich deplaziert direkt neben dem Graben stand, zusammen mit einem einzelnen Stuhl und einer wuchtigen, mit schweren eisernen Schlössern versehenen Truhe. Auf der zerkratzten Platte lagen Pergamente, die mit Steinen beschwert worden waren, damit der Wind sie nicht davontrug, dazu ein Tintenfaß und eine Schreibfeder. »Geht dorthin«, befahl er.
Skar wollte abermals widersprechen, aber wieder legte ihm Enwass die Hand auf den Arm und schüttelte hastig den Kopf. Sein Blick wurde beschwörend. Skar begriff plötzlich, daß er nicht nur sich selbst, sondern auch Enwass und alle anderen in Gefahr brachte, wenn er Gorrn weiter reizte. Schweigend wandte er sich um und folgte dem angeblichen Hauptmann zum Tisch.
Gorrn nahm auf dem Stuhl Platz, zog einen Stapel mit kleinen, roh zurechtgeschnittenen Pergamentblättern zu sich heran und zückte eine Schreibfeder, deren Ende zerkaut war. »Ihr bekommt jetzt Ausweise«, sagte er mit erhobener Stimme und in einem Ton, der klarmachte, daß er diese Sätze schon tausendmal gesprochen hatte. »Und dazu Lebensmittelscheine für den ersten Tag. Essen gibt es nur gegen diese Scheine, ist das klar? Die Ausweise habt ihr immer mit euch zu führen, wenn ihr euch im Lager bewegt. Wer ohne gültigen Ausweis erwischt wird, wird auf der Stelle hingerichtet — ist das klar?« Er wartete keine Antwort ab, sondern blickte betont gelangweilt zu Enwass auf, der als erster vor ihm Aufstellung genommen hatte. »Dein Name?«
»Enwass«, sagte Enwass gehorsam.
Gorrn kritzelte etwas auf das Pergament, warf einen Blick in eine engbeschriebene Liste, die neben dem Tintenfaß auf dem Tisch lag, und schrieb eine Nummer mit sehr vielen Ziffern unter Enwass' Namen. »Deine Waffen«, verlangte er.
Enwass zögerte einen winzigen Augenblick, schlug aber dann gehorsam seinen Mantel zurück und
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