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Enwor 8 - Der flüsternde Turm

Enwor 8 - Der flüsternde Turm

Titel: Enwor 8 - Der flüsternde Turm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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sah. Sie war nicht wirklich verkrüppelt, aber so ausgezehrt und verkrümmt, daß sie so wirkte. Die Haut war bleich und trocken und gerissen und über und über mit Geschwüren und nässenden Wunden übersät. Sie hatte keinen einzigen Fingernagel mehr.
    »Was ist... geschehen, Herrin?« flüsterte Kiina entsetzt. »Ihr seid verwundet. Wer hat euch das angetan?«
    »Ich selbst«, antwortete die
Margoi.
»Der Staub. Ich war...« Sie brach ab, rang mühsam nach Atem und machte eine bittende Handbewegung. »Helft mir, mich... aufzusetzen«, flüsterte sie. »Erschreckt nicht. Ich biete keinen... schönen Anblick.«
    Kiina wollte sich vorbeugen, aber Skar schob ihre Hand mit sanfter Gewalt beiseite, griff unter die Arme der
Margoi
und richtete sie auf. Als er sie behutsam gegen die Flanke des toten Drachen lehnte, spürte er, wie dünn und zerbrechlich der Körper unter dem schwarzen Stoff war. Er zögerte einen winzigen Moment, ehe er die Hand hob und die Kapuze des Mantels zurückschlug.
    Er wünschte sich fast, es nicht getan zu haben. Kiina gelang es nicht mehr ganz, einen entsetzten Aufschrei zu unterdrücken, und auch Skar preßte erschrocken die Lippen aufeinander und kämpfte sekundenlang gegen den Impuls, die Augen zu verschließen. Was mit der Hand der
Margoi
geschehen war, hatte auch vor ihrem Gesicht nicht haltgemacht. Was unter der Kapuze verborgen gewesen war, das war ein Totenschädel, kahl, bedeckt mit rissiger Pergamenthaut und von eiternden Wunden entstellt. Eines der Augen der
Margoi
war blind, überzogen von einem milchigen Netz, und der Mund hinter den entzündeten Lippen hatte keine Zähne mehr. »Großer Gott!« wimmerte Kiina. »Was ist mit Euch geschehen?«
    Der Totenschädel der Margoi verzerrte sich zu einer Grimasse, die wohl der Versuch eines Lächelns sein sollte. »Nur die gerechte Strafe der Götter, Kind«, flüsterte sie. »Wir haben bekommen, was wir... verdient haben.«
    »Unsinn«, widersprach Skar. »Ihr —«
    »Du«,
unterbrach ihn die
Margoi
plötzlich mit kraftvoller, fast energischer Stimme, »solltest besser als dieses dumme Kind wissen, wovon ich spreche. Es war eine von uns, die die Götter aus ihrem Schlaf riß, damals in Combat. Wäre es ein Satai gewesen, würdest du mir nicht widersprechen.«
    Aber es war ein Satai,
dachte Skar bitter.
Ich war es, der den Stein der Macht aus der Stadt brachte und damit das Siegel erbrach, das sie so lange gebannt hat.
Aber das sprach er nicht aus. Die
Margoi
wußte es so gut wie er. Ebenso, wie sie wußte, daß keiner von ihnen
wirklich
geahnt hatte, was er tat. Sie waren alle nur Werkzeuge gewesen. Werkzeuge einer Macht, die sie vielleicht auch heute noch nicht verstanden. Vela war auf ihre Weise so unschuldig oder schuldig wie er selbst.
    »Was ist passiert?« fragte er. »Wer hat Elay angegriffen? Hat der
Wächter
das getan?«
    »Der
Wächter?«
Die
Margoi
schüttelte den Kopf. »Nein. Er... starb.«
    »Er
starb?«
wiederholte Skar fragend. »Einfach so?«
    »Vor elf Tagen«, bestätigte die
Margoi.
»Vielleicht auch vor zwölf. Ich weiß nicht. Ich bin... schon so lange hier unten. Er zerfiel, und wir waren... frei.«
    »Aber sie sind alle tot!« sagte Kiina. »Elay liegt in Trümmern, Herrin! Jemand hat sie alle getötet!« Skar warf ihr einen warnenden Blick zu, aber Kiinas Selbstbeherrschung war aufgebraucht. Der Anblick der sterbenden
Margoi
war mehr, als sie noch ertragen konnte. »Wer hat das getan?!«
    »Niemand«, antwortete die
Margoi
leise. Ihr einzelnes, sehendes Auge richtete sich auf Kiina, und für einen Moment glaubte Skar trotz des unendlichen Schmerzes und des beginnenden Wahnsinns darin Mitleid in ihrem Blick zu erkennen. »Wir selbst waren es, Kiina.«
    »Ihr...
selbst?«
    Skar war nicht einmal überrascht. Und Kiina hätte es auch nicht sein dürfen. Sie wußten beide längst, was geschehen war. Die toten
Errish
oben in der Stadt, die Häuser, von Scannerschüssen niedergebrannt, der Drache, der den Palast angegriffen haben mußte —das alles hatte eine eindeutige Sprache gesprochen; deutlich genug, daß selbst Kiina die Wahrheit erkannt haben mußte. Aber keiner von ihnen hatte es gewagt, sie auszusprechen; vielleicht, weil er Angst hatte, sich mitschuldig zu machen, einen Teil der Verantwortung für diesen Wahnsinn zu übernehmen, dadurch, daß er es aussprach.
    »Es begann am nächsten Tag«, berichtete die
Margoi
mit schwacher, aber sehr klarer Stimme. »Vielleicht auch unmittelbar danach. Niemand...

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