Enwor 8 - Der flüsternde Turm
bemerkte es zuerst. Wir alle waren wie... wie betäubt. Es war wie ein böser Traum, aus dem wir nur allmählich erwachen konnten. Und manche wachten nicht auf. Viele starben, als der
Wächter
verging, und andere wurden wahnsinnig. Einige... flohen. Aber nicht sehr viele.« Ihre Stimme wurde leiser und erstarb völlig. Sie verlor nicht das Bewußtsein, aber sie brauchte sichtlich eine kurze Pause, um neue Kraft zum Weiterreden zu sammeln.
Skar sah sich besorgt in der Höhle um. Die Flammen hatten weiter um sich gegriffen, breiteten sich aber durch einen glücklichen Umstand fast in der entgegengesetzten Richtung aus. Trotzdem blieb ihnen nicht mehr viel Zeit. Noch Minuten, und die Höhle würde sich in eine Hölle verwandeln, in der sie die Wahl zwischen Ersticken und Verbrennen hatten.
»Sie begannen... zu kämpfen«, fuhr die
Margoi
fort.
»Kämpfen?« Kiina hob in einer hilflosen Geste die Hände.
»Wer? Warum?«
»Es gab kein Warum. Es waren... die Träume. Manche starben einfach, andere... viele... sprangen plötzlich auf und griffen ihre Brüder und Schwestern an. Es dauerte eine Nacht und einen Tag und eine weitere Nacht, und danach... waren die meisten tot.
Nicht alle, aber die meisten. Manche von uns, die Stärksten, konnten widerstehen. Auch ich. Oh, es war schwer, unendlich schwer. Da war... so viel Zorn in meinen Gedanken, so viel Haß...» Sie brach ab, hustete qualvoll, hob die Hand nach Skars Gesicht und ließ sie auf halbem Wege wieder sinken; Skar wußte nicht, ob aus Schwäche, oder weil sie ahnte, wie unangenehm ihm ihre Berührung sein mußte. »So viel Haß...«
Kiinas Blick war hilflos und unverstehend, aber Skar begriff nur zu gut, was die
Margoi
meinte. Er selbst hatte es mehr als einmal gespürt, dieses böse dunkle Flüstern aus den Abgründen seiner Seele, das ihn dazu bringen wollte, zu vernichten, zu töten und zerstören, gleich wen und was. Vielleicht war es die letzte, ultimative Waffe der
Sternengeborenen,
der böse Teil der menschlichen Seele, die Bestie, die in jedem Menschen lauerte, die sie entfesselten.
»Und dann kam der Staub«, flüsterte die
Margoi,
nachdem sie wieder einigermaßen zu Atem gekommen war. »Er wehte vom Meer heran, und er tötete... alle. Wie der... der Atem meines Drachen, nur hundertmal... tödlicher. Ist er... noch da?«
»Der Staub?« Skar nickte. »Ja. Überall. Der Regen wäscht ihn fort, aber er ist noch da.«
Auf dem zerfallenen Gesicht machte sich Schrecken breit.
»Habt ihr ihn berührt? Ihn eingeatmet?«
Skar nickte widerstrebend. »Ich fürchte. Aber nicht sehr viel.«
»Er ist nicht mehr gefährlich«, fügte Kiina hinzu. »Sieh uns an.
Wir leben. Und wir bringen Euch hier heraus.«
»Du irrst dich, Kind«, widersprach die
Margoi.
»Sieh mich an.
Es war der Staub, der mir dies angetan hat. Ich... konnte fliehen. Ich stand oben im Turmzimmer, als der Sturm begann, und etwas ... warnte mich. Ich war feige und floh hierher, zu Elah und den anderen, um zu sterben.« Sie schwieg wieder, länger als eine Minute, und diesmal nicht aus Schwäche, sondern einfach, weil die Erinnerungen sie zu überwältigen drohten.
»Ich war feige«, wiederholte sie schließlich. »Ich ließ mein Volk im Stich, statt mit ihm zu sterben, wie es meine Pflicht gewesen wäre. Zwei Tage und Nächte blieb ich hier unten, und als ich zurückkam, da... da gab es kein Elay mehr. Aber ich berührte den Staub.«
»Wir werden Euch helfen!« sagte Kiina verzweifelt. »Wir bringen Euch hier heraus und... und werden Euch helfen. Ich verstehe eine Menge von der Heilkunst, mehr als Ihr glaubt. Meine Mutter-«
»Sei endlich still«, sagte Skar. Kiina brach mitten im Wort ab und starrte ihn aus tränenerfüllten Augen an, und Skar wandte sich wieder an die
Margoi.
»Es tut mir so leid«, sagte er.
»Leid?« Die
Errish
lachte leise. »Das muß es nicht, Satai. Es ist die gerechte Strafe für meine Feigheit. Ich hatte Angst zu sterben. Ich wollte leben, und für einen Moment war es mir gleich, ob mein Volk lebt oder nicht.«
»Du hättest es nicht verhindern können.«
»Aber ich hätte mit ihnen sterben können«, sagte die
Margoi.
»Ich sah, wie sie stürzten, im Bruchteil einer Sekunde, und ich hatte nur Angst.« Wieder lachte sie. »Ich hatte Angst vor einem schnellen Tod und tauschte ihn gegen
das
hier ein. Die Götter sind gerecht, Skar. Sie haben mich für das bestraft, was ich tat. Und sie haben Elay für das bestraft, was Vela getan hat.«
»Das ist nicht
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