Enwor 8 - Der flüsternde Turm
es war nicht sehr viel Humor in dieser Miene. »Wenn du willst, sorge ich dafür, daß sie nicht weit kommen. Ich glaube nicht, daß sie es wagen, den Weg einer Herde wilder Tyrr zu kreuzen.«
»Was für ein Unsinn«, sagte Yul. »Du wirst nichts dergleichen tun, Anschi. Und jetzt geh. Laß dir etwas zu essen geben und beruhige dich ein wenig. Und dann komm zu uns. Skar und ich erwarten dich in Kiinas Hütte.«
Anschi entfernte sich ohne ein weiteres Wort, aber mit Bewegungen, die ihren Zorn nur um so deutlicher machten. Skar sah ihr kopfschüttelnd nach, während Yul sich ein dünnes, verzeihendes Lächeln gestattete.
»Sie ist sehr aufbrausend«, sagte sie, »aber auch sehr klug. Was für eine
Errish
wäre sie geworden.« Sie seufzte, schüttelte noch einmal den Kopf und stützte sich wieder schwer auf ihren Stock. »Komm, Satai«, sagte sie mit einer Kopfbewegung auf eine der Hütten am Rande des Lagerplatzes. »Wir haben viel zu besprechen. Und jetzt darfst du mir die Hand reichen. Ich bin müde.«
Kiina schlief, als er die Hütte betrat. Sie war etwas geräumiger als die, in der er sich nach seinem Erwachen gefunden hatte, aber ebenso spartanisch eingerichtet; selbst für die Begriffe einer
Errish.
Skar führte Yul zu einem Stuhl, half ihr, sich auf das unbequeme Möbelstück zu setzen und trat dann an Kiinas Bett. Er erschrak ein wenig, als er ihr Gesicht sah: Es war so bleich, daß es schon fast grau wirkte, und unter ihren Augen waren dunkle Ringe. Er hätte nicht einmal die Hand auf ihre Stirn zu legen brauchen, um zu erkennen, daß sie Fieber hatte, aber er tat es trotzdem; vielleicht nur, um sie zu berühren. Obwohl sie den allergrößten Teil ihrer gemeinsamen Zeit damit verbrachten, sich zu streiten, fühlte er eine tiefe, fast väterliche Verbundenheit mit dem Mädchen. Sie war nicht seine Tochter — Skar hatte den Gedanken eine Weile ernsthaft erwogen, ihn dann aber als das erkannt, was er war: ein Wunsch, mehr nicht —, aber sie hätte es sein
können,
und sie war Gowennas Tochter. Etwas wie ein Andenken an eine Zeit, die unwiderruflich vorüber war. Und er war es Gowenna einfach schuldig, sie zu beschützen.
»Du liebst das Mädchen«, sagte Yul, als er sich nach ein paar Augenblicken aufrichtete.
»Ja«, sagte Skar, zu seiner eigenen Überraschung fast sofort und ohne irgendeine Scheu oder gar Verlegenheit. »Aber nicht so, wie du glaubst. Wie geht es ihr?« Erst, als er die Hütte betreten und Kiinas bleiches Gesicht gesehen hatte, hatte er sich wieder daran erinnert, daß auch sie das Lager der
Errish
mehr bewußtlos als wach erreicht hatte.
»Sie ist sehr schwach«, antwortete Yul nach einem Zögern und in einer Art, die Skar besorgt aufhorchen ließ. Fragend sah er die greise
Errish
an. Yul wich seinem Blick aus, und wieder hatte er das Gefühl, daß es da etwas gab, was sie ihm verschwieg.
»Aber das ist nicht alles«, vermutete er.
Yul zögerte erneut, und Skar erinnerte sich an die sonderbare Bemerkung, die sie nach seinem eigenen Erwachen gemacht hatte:
Es war nicht der Ritt.
»Nein«, gestand sie nach einer Weile. »Das ist nicht alles. Sie ist... krank. Ihr beide seid krank. Glaube ich.«
»Du
glaubst?«
Skar sah Yul scharf an. »Was soll das heißen — du glaubst? Du bist eine
Errish,
oder nicht?«
»Ich kann nicht zaubern«, antwortete Yul beinahe aggressiv.
»Ich kann Schmerzen lindern und Krankheiten heilen — manchmal. Ich weiß nicht, was ihr fehlt. Vielleicht ist sie einfach nur erschöpft.«:
»Du lügst«, behauptete Skar. Er trat einen Schritt auf Yul zu und ballte die Fäuste, ehe ihm klar wurde, wie lächerlich diese Geste einer Frau wie Yul gegenüber war. Etwas leiser, aber noch immer erregt und mit nur mühsam beherrschter Stimme fuhr er fort: »Du weißt ganz genau, was ihr fehlt. Es ist... dasselbe, was die
Errish
in Elay getötet hat. Der Staub.«
Yul nickte. Ihr Blick ging an Skar vorbei ins Leere. »Der Staub, ja. Vielleicht. Ich... weiß es einfach nicht.« Sie zwang sich, Skar anzusehen, aber mit einem Male wirkte sie hilflos, als wäre
sie
es, die
ihn
um eine Erklärung bat. »Als es... geschah, Skar, da sandte ich eines der Mädchen in die Stadt. Es kam zurück, aber es starb binnen weniger Stunden. Ich weiß nicht, woran. Ich habe alles in meiner Macht Stehende versucht, aber ich habe versagt. Es war, als... als fräße sie etwas von innen heraus auf.«
Vor Skars innerem Auge entstand das Bild des zerfallenen Gesichtes der
Margoi,
ein
Weitere Kostenlose Bücher