Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Enwor 9 - Das vergessene Heer

Enwor 9 - Das vergessene Heer

Titel: Enwor 9 - Das vergessene Heer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
ein Gefühl vermittelte, als würde der gesamte Turm wie unter einem Hammerschlag erzittern. Und gleichzeitig war es anders, vollkommen anders; hatte er gestern etwas wie ein verzweifeltes Ringen einander ebenbürtiger Kräfte verspürt, so war es jetzt wie eine lautlose Explosion auf rein geistiger Ebene, ein rasches, krampfhaftes Zucken in der Realität, als hätten sich zwei Welten berührt und jede einen Teil der anderen dabei zerstört, wie Feuer und Wasser, die aufeinandertrafen und sich zu kochendem Dampf vereinigten. Skar taumelte zurück, stürzte halbwegs durch die Tür, die Titch geöffnet hatte, und fand im letzten Augenblick am Rahmen Halt. Auch der Quorrl und Kiina wankten, während Anschi mit einem spitzen Schrei auf die Knie herabsank und das Gesicht zwischen den Händen verbarg.
    Es ging unglaublich schnell; eine Sekunde, vielleicht zwei, und doch war es ein Augenblick, der kein Ende zu nehmen schien. Skar glaubte etwas wie einen Schrei in seinen Gedanken zu hören, den Schrei einer Stimme, die gleichzeitig befreit wie gequält klang. Er fand sein Gleichgewicht wieder und wollte zu den anderen gehen, aber er konnte es nicht. Seine Augen vermittelten ihm andere Eindrücke als sein Gleichgewichtssinn: er spürte, daß der Turm fest und unverrückbar wie seit Jahrtausenden dastand, aber was er
sah,
das war ein Gang, dessen Wände zuckten und brodelten wie geschmolzener Teer und der sich peitschend hin und her wand, als hätte sich der stählerne Korridor in eine riesige Schlange verwandelt. Aus den Schatten griffen
Dinge
nach ihnen, die sich seine menschlichen Sinne zu erkennen weigerten, und in seinem Kopf war noch immer dieses entsetzliche, lautlose Brüllen, in dem sich Triumph und abgrundtiefe Qual zu etwas Neuem, Furchtbarem verbanden.
    Und dann war es vorbei, ganz plötzlich und endgültig.
    Die Stimme erlosch. Der Gang hörte auf, sich vor seinen Augen zu drehen und zu winden wie ein lebendiges Wesen. Stille schlug wie eine Woge über ihnen zusammen. Aber nur für einen Moment. Dann hörte Skar, zum ersten Mal seit er in diesem Turm aufgewacht war, Geräusche. Laute, die nicht in seiner unmittelbaren Nähe entstanden: ein dumpfes, rhythmisches Pochen, das aus dem Boden und den Wänden gleichzeitig zu dringen schien, Schreie, Stimmen, das Geräusch entfernter, rennender Schritte. Irgendwo brüllte ein Drache.
    »Was ist jetzt los?« knurrte Titch.
    »Ennarts Magie«, murmelte Skar. »Sie erlischt. Sie…« Er sprach nicht weiter, als er begriff, was das, was er gerade gesagt hatte, wirklich bedeutete.
    »Magie?« Titch schüttelte heftig den Kopf. »Das hier hat nichts mit Magie zu tun.« »Nenn es wie du willst«, antwortete Skar. »Aber was immer es war, es ist nicht mehr da.«
Und das namenlose
Ding
unter ihnen war frei.
Er sprach den Gedanken nicht laut aus, aber er wußte, daß es so war. Was immer der Ssirhaa getan hatte, um das entsetzliche Erbe der
Alten
zu manipulieren: die geistigen Fesseln, mit denen er es gebunden hatte, waren erloschen.
Es war frei.
    Mit klopfendem Herzen wandte er sich zu Anschi um. Die
Errish
hatte die Hände heruntergenommen und starrte ihn an, und in ihrem Blick war nichts als Entsetzen. Ennarts geistige Fessel war auch von ihr abgefallen, aber sie mußte die Wahrheit im gleichen Augenblick erkannt haben wie Skar. Sie war mit ihm unten gewesen. Sie hatte
gesehen,
was der Tempel barg.
    Ihre Blicke begegneten sich, und Skar war endgültig davon überzeugt, daß Anschi wieder sie selbst war. Die
Errish
wollte etwas sagen, aber Skar signalisierte ihr mit einem raschen Kopfschütteln, zu schweigen; eine Bewegung, die Titch auffallen mochte, deren wahre Bedeutung er aber unmöglich erraten konnte. Rasch streckte er die Hand aus, half Anschi auf die Füße und deutete mit einer Kopfbewegung auf die Tür. »Los!«
    Titch beäugte ihn und die
Errish
mißtrauisch, sagte aber kein Wort, sondern trat als letzter hinter ihnen in die Kammer und schloß die Tür. Es wurde quälend eng. Die Kammer war für zwei Personen gebaut, nicht für drei Menschen und einen sieben Fuß großen Quorrl. Aber die gespenstische Fahrt dauerte nur Augenblicke, ehe sich die Tür wieder öffnete und sie auf einen weiteren Korridor hinaustraten, der sich nicht im Geringsten von dem über ihnen unterschied. Die Schreie und der Lärm waren hier lauter. Aus einer offenstehenden Tür zehn Schritte neben ihnen drang flackernder Feuerschein.
    Anschi deutete nach links. »Dort. Der große Raum hinter der

Weitere Kostenlose Bücher