Enwor 9 - Das vergessene Heer
dich zu mir«, bat er.
Kiina zögerte. Skar sah ihr an, daß sie am liebsten herumgefahren und einfach davongerannt wäre. Aber natürlich tat sie es nicht, sondern trat — in etwas größerer Distanz, als nötig gewesen wäre — um sein Lager herum und ließ sich mit angezogenen Knien auf ihre eigenen Decken sinken. Sie sah übermüdet aus, und sehr erschöpft. Die dunklen Ringe unter ihren Augen waren wieder da. Skar versuchte, ihren Blick einzufangen, aber sie wich ihm aus und griff nervös nach ihrer Decke, um sie sich fröstelnd über die Schulter zu hängen. Es war so kalt, daß ihr Atem dampfte.
»Ich fühle mich wirklich gut«, sagte Skar leise und so überzeugend, wie er konnte. Er streckte die Hand aus und versuchte ihre Wange zu streicheln. »Es gibt keinen Grund, traurig zu sein.« Seine Taktik war falsch. Kiina rückte fast erschrocken weiter von ihm weg und vergrub sich noch mehr in ihre Decke. Wenn sie sich auch oft genug noch wie ein Kind benahm, so spürte sie doch genau, wenn er versuchte, sie auch so zu behandeln, und es machte sie noch immer zornig. Er wünschte sich, Titch käme zurück.
»Warum erzählst du mir nicht, was passiert ist?« fragte er, müde, grundlos enttäuscht und nur, um überhaupt etwas zu sagen.
»Du erinnerst dich nicht?« fragte Kiina. »Deine Hand. Du hast —«
»Davon
rede ich nicht«, unterbrach sie Skar. »Ich habe es selbst getan, weißt du? So leicht vergißt man das nicht. Ich meinte das, was
danach
geschehen ist. Wie sind wir hierher gekommen, und wo, verdammt nochmal, sind wir überhaupt?«
»Du bist…« Kiinas Stimme brach. Plötzlich und vollkommen unvermittelt begann sie zu weinen. »O Skar, es tut mir so leid«, schluchzte sie.
Sein erster Impuls war, die Hand auszustrecken und sie an sich zu ziehen, um sie zu trösten. Aber er gab ihm nicht nach, sondern sah Kiina nur reglos und fast abfällig an. »Deine Tränen ändern auch nichts«, sagte er ruhig. »Ich habe eine Hand verloren
- und? Ich habe noch eine. Hier, siehst du?« Er spreizte die Finger der Rechten vor ihrem Gesicht, ballte sie zur Faust und machte eine ärgerliche Bewegung damit, als sie antworten wollte. »Reiß dich zusammen. Ich habe schon Schlimmeres überlebt, und ich werde auch das überleben, glaub mir.«
»Aber du —«
»- bist ein Krüppel?« fiel ihr Skar ins Wort. »War es das, was du dich nicht zu sagen traust? Sprich es ruhig aus. Es ist die Wahrheit. Und? Ich lebe. Wäre ich dir als unversehrter Leichnam lieber gewesen?« Aus dem Schmerz in Kiinas Blick wurde Verwirrung und fast sofort Zorn. Ihre Tränen versiegten so schnell, wie sie gekommen waren. »Natürlich nicht«, antwortete sie scharf.
»Ich… ich dachte nur, es geht dir ein wenig näher.«
»Ich werde eine Menge Arbeit sparen«, sagte Skar achselzuk-kend. »Beim Händewaschen und Nägelschneiden zum Beispiel.« Ein rauhes Lachen hinter Skars Rücken hielt Kiina davon ab, zu antworten. Er drehte sich um und erkannte Titch, der so lautlos näher gekommen war, daß nicht einmal Skar ihn gehört hatte. Kiina stand mit einer wütenden Bewegung auf, drehte sich um und verschwand mit weit ausgreifenden Schritten.
Der Quorrl kam näher, blickte ihr stirnrunzelnd nach und sah dann mit schräggehaltenem Kopf auf Skar herab. »Was hast du mit ihr gemacht?«
»Nichts«, antwortete Skar ausweichend. »Es ist mir nur lieber, wenn sie zornig auf mich ist, statt um mich zu weinen.«
Titch seufzte. »Du scheinst dich ernsthaft auf dem Weg der Besserung zu befinden«, sagte er. »Zumindest deine Holzhammerpsychologie ist wieder ganz die alte.«
»Manchmal funktioniert sie«, erklärte Skar ungerührt. »Außer bei dir. Im Seelenleben von Fischen kenne ich mich nicht so gut aus.«
»Kröten, wenn schon.« Titch ließ sich neben ihm in die Hocke sinken, griff mit spitzen Fingern nach Skars Decke und hob sie an. Das spöttische Funkeln in seinen Augen erlosch, als sich sein Blick auf Skars linken Arm richtete. »Großen, Satai fressenden Kröten. Hast du Schmerzen?«
»Etwas«, gestand Skar. »Ich habe schon Schlimmeres ertragen.« Er sah immer noch nicht unter die Decke. Er wollte es, aber er konnte es nicht.
»Ich weiß«:, sagte Titch in leicht unwilligem Ton. »Ich habe euch zugehört.«
»Die ganze Zeit?«
Titch nickte. »Sicher. Hast du gedacht, ich lasse sie allein hier im Wald herumspazieren?«
»Was ist so gefährlich daran?«
Titch ließ die Decke sinken. »Nichts«, sagte er gelassen. »Was wäre
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