Enwor 9 - Das vergessene Heer
gefährlich für einen Quorrl, in einem
eurer
Wälder herumzulaufen?«
»Dann haben wir es geschafft? Wir sind in Cant?«
»Geschafft?«: Titch machte eine Kopfbewegung, die sowohl ein Nicken als auch das Gegenteil sein konnte. Vielleicht beides. »Wir haben die Grenze überschritten, aber das ist auch alles. Du bist ungeduldig, Satai. Jeder andere an deiner Stelle wäre froh, noch am Leben zu sein.«
»Jeder andere an meiner Stelle«, antwortete Skar ernsthaft, »hätte dir längst den Schädel eingeschlagen, um sich deine gutgemeinten Bemerkungen nicht mehr länger anhören zu müssen.«
Er rechnete mit einer gleichartigen Antwort, aber Titch schien genug davon zu haben, weiter herumzualbern. »Glaubst du, du kannst reiten?« fragte er mit einer Kopfbewegung auf Skars Arm. »Damit?«
»Sicher. Wo sind die Daktylen?«
»Fort. Wir haben sie weggeschickt, schon gestern abend. Es wäre zu gefährlich gewesen, sie zu behalten. Ich bin ohnehin nicht ganz sicher, daß man uns nicht gesehen hat. Das ist auch der Grund, aus dem wir nicht lange hier bleiben sollten. Ich hätte dich geweckt, wenn du nicht von selbst aufgewacht wärst.« »Wo sind wir?« fragte Skar noch einmal.
»Gut hundert Meilen jenseits der Grenze«, antwortete Titch.
»Es gibt ein Dorf in der Nähe, aber das Gebiet ist trotzdem dünn besiedelt. Ich habe Freunde dort, die uns verstecken werden, bis du wieder kräftig genug für den Rest des Weges bist.« »Das bin ich«, widersprach Skar.
Titch lächelte nur. »Nein, das bist du nicht«, antwortete er.
»Du
fühlst
dich vielleicht kräftig, aber das bist du ganz und gar nicht. Jedes Kind könnte dich
zu
Boden werfen. Und der Rest der Strecke ist ungleich beschwerlicher als der Ritt auf einer Daktyle.«
»Wie weit ist es noch?«
»Das Problem ist nicht die Entfernung«, antwortete Titch, ohne
wirklich
zu antworten. »Der Sturz von Ninga ist ein heiliger Ort. Kein Mensch hat ihn je gesehen, geschweige denn betreten. Sie würden uns beide in Stücke reißen, wenn wir auch nur
versuchten,
uns ihm offen zu nähern.«
»Aber uns bleibt nicht mehr viel Zeit, und —«
Titch erstickte Skars Protest mit einer rüden Handbewegung. »Mehr Zeit, als wir brauchen«, behauptete er.
»Was soll das heißen?« fragte Skar. »Hast du Nachricht von Del?«
»Nein. Aber es ist drei Tage her, daß die
Errish
aufgebrochen sind, um ihm deine Warnung zu überbringen. Die Entscheidung ist längst gefallen, so oder so. Es gibt nichts mehr, was du noch daran ändern könntest.«
Skar wollte auffahren, sah den Quorrl aber dann nur einen Moment lang mit einer Mischung aus Ärger und Neugier an und senkte schließlich den Blick. Wie so oft hatte Titch recht, auch wenn seine Argumentation simpel und zumindest in Skars Ohren fast fatalistisch klang. Aber es war so: Das Schicksal Enwors entschied sich nicht hier, sondern auf der anderen Seite des Kontinents, und es gab nichts mehr, was er noch daran ändern konnte. Das einzige, was sich hier und jetzt entscheiden würde, war sein und Kiinas Schicksal.
Er bewegte sich unruhig, wartete darauf, daß Titch etwas sagte und schob schließlich behutsam die Decke beiseite, als der Quorrl beharrlich schwieg. Sein Herz begann zu klopfen, als er den Blick auf seinen linken Arm senkte.
Es sah weniger schlimm aus, als er erwartet hatte. Wo seine linke Hand sein sollte, befand sich ein zwar ungeschickt angelegter, aber sehr sauberer Verband. Es tat nicht einmal mehr sehr weh, und — es war verrückt, aber: er hatte nicht einmal das Gefühl, daß ihm etwas fehlte. Seine Finger waren nicht mehr da, aber er spürte sie, glaubte sogar ihre Bewegung zu fühlen, als er seinen Nerven den Befehl gab, sie zu krümmen.
»Du weißt, daß du trotzdem nur eine Gnadenfrist hast«, sagte Titch leise.
»Wie lange?«
Der Quorrl zuckte mit den Schultern. »Eine Woche. Einen Monat. Ein Jahr… wer weiß?« Er räusperte sich gekünstelt, stand mit einem Ruck auf und streckte ihm die Hand entgegen. Skar griff danach, erhob sich weit weniger elegant und flüssig und zog fröstelnd die Decke enger um die Schultern, als er den eisigen Biß der Nachtkälte spürte. Die Temperaturen konnten kaum über dem Gefrierpunkt liegen. Es hätte ihn nicht erstaunt, wenn er noch Schnee auf den Baumwipfeln gesehen hätte.
»Ist es hier immer so kalt?« fragte er, während er sich nach seinem Mantel bückte und hineinschlüpfte.
»Nein«, antwortete Titch. »Die Winter sind länger als bei euch, aber es wird
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