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Enwor 9 - Das vergessene Heer

Enwor 9 - Das vergessene Heer

Titel: Enwor 9 - Das vergessene Heer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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in den Wald zurück und ließ sich auf die Knie sinken. Ihr Atem ging schnell. Der Weg hatte sie so sehr erschöpft wie ihn. Aber er widerstand auch diesmal der Versuchung, zu ihr zu gehen und ihr ein paar aufmunternde Worte zu sagen.
    Statt dessen blickte er sich aufmerksam um; und eigentlich zum ersten Mal, seit sie ihr provisorisches Lager verlassen hatten. Vorhin, als Titch ihn durch den Wald getragen hatte, hatte er nicht viel erkennen können, aber es wurde allmählich hell, und durch die dürren Baumwipfel fiel genug Helligkeit, ihn jetzt mehr als Schemen erkennen zu lassen. Der Wald war sehr dicht, selbst hier, nahe am Rand, und er wirkte irgendwie…
falsch?
    Skar wußte nicht, ob es das richtige Wort war, aber ihm fiel keine passendere Bezeichnung für das sonderbare Gefühl ein, das ihm beim Betrachten des Quorrl-Waldes einfiel. Die Bäume waren ausnahmslos groß und wuchtig, wütend wirkende, knorrige Gewächse, keiner dünner als drei, vier Fuß und keiner kleiner als fünfzig. Sie hatten keine Rinde, sondern einen Schuppenpanzer, der an den der Quorrl erinnerte, und sehr wenige, dicke Äste, die es ihnen unmöglich machten, selbst in der Blütezeit so etwas wie ein geschlossenes Blätterdach zu bilden. Büsche und Unterholz wirkten wie aus Draht geflochten, und selbst das Moos war
hart.
Aber es war nicht allein die Feindseligkeit der Vegetation, die ihn beunruhigte. Sie waren weit im Norden, in einem Land, in dem acht oder neun Monate Winter herrschte und in dem er keine Vielfalt oder gar Schönheit von Leben erwarten durfte wie in den fruchtbaren Ebenen von Besh — Ikne oder Malab.
    Was er spürte, war vielmehr die Armut dieser sonderbaren Welt. Es dauerte eine Weile, bis er es sah, oder vielmehr
nicht
sah: Es gab die Bäume mit ihrer glitzernden Schuppenhaut, das drahtige Gebüsch und den blauschwarzen Flickenteppich des Mooses, sonst nichts. Nur diese drei Arten von Leben. Kein Pilz, der seinen Hut vorwitzig aus dem Boden reckte, kein Parasitengewächs, das sich in einem Spalt der Baumschuppen festgekrallt hätte, kein Farn, keine Blumen, keine Schimmelgewächse, kein verwelktes Blatt auf dem Boden, keine Spinnweben, die sich zwischen den Büschen spannten. Dieser ganze Wald wirkte auf ihn, als wäre er
gemacht
worden, nicht gewachsen, und das von jemandem, der entweder nicht besonders talentiert oder in großer Eile gewesen war. Er fragte sich, ob es überall in Cant so aussah wie hier. Wenn ja, so verstand er Titchs Zorn plötzlich sehr viel besser. Welche anderen denkenden Geschöpfe als Quorrl sollte ein Land hervorbringen, das von der Natur so betrogen worden war wie dieses?
    Kiina deutete mit der Hand, und Skar schrak abrupt aus seinen Gedanken hoch und blickte konzentriert nach Süden. Es war noch immer nicht richtig hell — die Dämmerung schien hier sehr viel länger zu dauern, als er es gewöhnt war —, aber nach ein paar Augenblicken erkannte er, worauf ihn Kiina hatte aufmerksam machen wollen: vor dem gegenüberliegenden Waldrand rührte sich etwas. Titch. Der Quorrl hatte seinen goldenen Panzer abgelegt, so daß er nicht viel mehr als ein schwarzer Fleck auf schwarzem Untergrund war, nur an seiner Bewegung zu erkennen, und er schien sich nicht sonderlich zu beeilen.
    »Warte noch«, flüsterte er, als Kiina sich erhob. Aufmerksam beobachtete er Titch, der allmählich von einem gestaltlosen Etwas zu einem sich bewegenden Schatten mit Armen und Beinen wurde, dann die Stadt. Sie konnten das Tor von hier aus nicht sehen, aber nach ein paar Sekunden erschienen zwei massige Gestalten auf dem Weg, die Titch entgegeneilten.
    »Jetzt«, befahl er, »Beeil dich. Warte nicht auf mich.«
    Sie huschten los. Der Weg, dreihundert Schritte über vollkommen leeres Gelände, schien kein Ende zu nehmen, obgleich Skar so schnell rannte, daß selbst Kiina Mühe hatte, mit ihm Schritt zu halten. Er konnte spüren, wie seine Kräfte mit jeder Sekunde nachließen, und er rechnete jeden Augenblick damit, einen Schatten zu sehen, der auf ihn zustürmte, einen Schrei hören, oder einfach das Surren eines Pfeiles, der ihn einen Sekundenbruchteil später treffen würde.
    Aber die Götter — oder vielleicht auch nur die Gleichgültigkeit eines willkürlichen Schicksals — meinten es ausnahmsweise einmal gut mit ihnen. Sie überwanden den Sicherheitsstreifen um die Stadt unbehelligt. Die beiden Quorrl hatten Titch noch nicht einmal erreicht, als sich Skar schweratmend in die Deckung des Felsbrockens sinken

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