EONA - Das letzte Drachenauge
durch die Luft und fielen krachen zu Boden. Durch Drachenaugen sahen wir, wie Ryko Dela und Vida auf den Gang zerrte, während erstickender Staub durch die Zelle waberte. Mein irdischer Leib krümmte sich keuchend, während die trauernden Tiere sich auf uns stürzten.
Pfeilschnell schoss der Rattendrache über den Pfad der westlichen Tiere und schlug dem Hundedrachen und dem Schweinedrachen mit seinen opalfarbenen Klauen klaffende Wunden, aus denen helles Hua strömte. Beide zogen sich schreiend zurück. Unser großer roter Leib rammte den grünen Tigerdrachen, und unsere rubinroten Krallen zerkratzten die rosafarbene Haut des Hasendrachen. Wir drehten uns, spannten die Muskeln und duckten uns vor den Amethystklauen des Büffeldrachen und die Wand hinter dem violetten Tier zerbarst krachend in Trümmer. Der blaue Drache sauste knurrend vor uns im Kreis herum, hieb mit seinen Klauen zu und trieb die anderen sich duckenden, abtauchenden, heulenden Tiere zurück.
Eona, genauso wie beim letzten Mal. Idos Geiststimme war kräftig und der Orangengeschmack seiner hellen Macht war durchsetzt von süßer Vanille. Zusammen!
Seine irdische Hand packte die meine und riss mich aus der Drachensicht. Ich sah ihn, auf den Knien, den Kopf in den Nacken gelegt, und mit kampflustig funkelnden Bernsteinaugen. Dann war ich wieder mit dem Spiegeldrachen vereint und unser mächtiger roter Leib schlingerte von dem gewaltig andrängenden Verlangen der Tiere ringsum. Dieses Mal gab es kein Zögern: Wir öffneten unsere Pfade und spürten das Anbranden orangefarbener Energie. Sie durchloderte uns und bündelte unsere goldene Macht zu einer gewaltigen Welle aus Hua voll wirbelnder Steine, die Ido trotz seiner eisernen Kontrolle kaum in den Griff bekommen konnte.
Seine Hand umklammerte die meine fester. Brüllend ließ er unsere Macht frei, die als dröhnende Explosion Decke und Wände der Zelle zerriss und die zehn Drachen rückwärtsschleuderte. Einen Moment lang färbte das Übermaß an Macht die Himmelsebene leuchtend rot, während die Tiere gegen diese Kraft ankämpften. Dann kreischten die schimmernden Drachen ringsum gleichzeitig auf und verschwanden.
Die Energiewelt krümmte sich und verschwand mit einem Satz. Ich war wieder in meinem Körper; die prächtige Macht meines Drachen hallte in meinem Kopf nach wie ein fernes Summen und ich spürte eine dumpfe Leere in meinem Geist.
Ido riss mich zu sich herunter und legte mir den Arm um den Leib. Eine Druckwelle ging über uns hinweg, presste mich an den Boden, durchschlug die Wände der Nachbarzellen und ließ beißenden Staub und Schmutz auf uns niederprasseln.
Langsam hob ich den Kopf. Die halbe Außenwand fehlte, und zwischen den Trümmern waren verstreute Leichen zu sehen: Soldaten, die die Alarmglocke herbeigerufen hatte und die von der Explosion erwischt worden waren. Einige nur umrisshaft sichtbare Gestalten sammelten sich argwöhnisch in der Ferne. Weitere würden kommen.
»Alles in Ordnung mit Euch?«, krächzte Ido. »Das war wirklich knapp. Entweder sind die zehn stärker geworden oder unsere Kraft hat nachgelassen.«
Ich schlüpfte aus seinem Griff und stützte mich auf die Arme. Meine Schmerzen waren weg. Ich riss den Verband ab: Unter dem verkrusteten Blut war die klaffende Wunde so zusammengewachsen, als hätte es sie nie gegeben.
Ido setzte sich auf und auch er war offensichtlich völlig wiederhergestellt. Er starrte auf seine glatte Brust und fuhr mit den Fingern über die Haut, in die eben noch ein Schriftzeichen eingeritzt gewesen war. Dann drehte er den Kopf, um seinen Rücken zu untersuchen. Auch ich konnte nicht anders, als seinen Körper und das Wunder der heilenden Macht meines Drachen anzustarren. Alle Verletzungen waren verschwunden, seine breiten, kraftvollen Schultern und die langen Beine von keiner Grausamkeit mehr gezeichnet. Allerdings war er nur noch Haut und Knochen. Die Drachenmacht konnte nicht ungeschehen machen, wenn jemand kurz vor dem Hungertod gewesen war. Ido sah, wie aufmerksam ich ihn betrachtete, doch er tat nichts, um seine Nacktheit zu verbergen. »Wie viele sind wir?«
Ich sah weg und blickte auf die dunklen Gestalten außerhalb der Zelle. Es waren immer mehr geworden. »Mit Euch sind wir zu sechst.«
Er fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. »Sechs? Mehr nicht?«
»Eona?« Das war Rykos Stimme, schroff und drängend.
»Hier«, rief ich und rappelte mich auf. »Wir sind unverletzt.«
Ich betastete erneut meinen Arm. Er fühlte
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