EONA - Das letzte Drachenauge
Energiewelt zu schaffen. Und selbst wenn es mir gelang: Die zehn beraubten Drachen waren unglaublich schnell . Nach meiner Schätzung blieb mir nicht einmal eine Minute, um Ido zu finden und ihn zu heilen, bevor sie angreifen würden.
»Ich muss es versuchen«, sagte ich. »Geht alle ein Stück zurück. Ihr habt ja gesehen, was letztes Mal passiert ist.«
Die drei bewegten sich ans andere Ende der Zelle.
Helft mir , betete ich zu allen Göttern, die mich hören mochten, und drückte meine Handfläche oberhalb des grausam eingeritzten Schriftzeichens auf Idos nasse Brust. Sein mühsam schlagendes Herz dröhnte unter meiner Handfläche und ein Knoten aus nackter Angst schnürte mir die Luft ab. Und wenn es mir nicht gelang? Wenn ich uns alle töten würde?
Ich bahnte mir einen Weg durch die Furcht und entspannte meine Brust bei jedem Atemzug mehr, bis ich einen vertrauten, sich vertiefenden Rhythmus fand: den Pfad in die Energiewelt. Die Erschöpfung zerrte an mir wie eine tückische Strömung und ich musste mit jedem Atemzug dagegen ankämpfen. Unter meiner Hand spürte ich, wie Idos Herzschlag allmählich mit dem meinen synchron wurde und wie das abgehackte Heben und Senken seiner Brust langsam in mein stetes Atmen überging. Die halbdunkle körperliche Welt um uns drehte und bog sich in helle Farben und in strömendes Hua.
Vor meinen Augen verwandelte sich Idos tiefes Leiden in Muster aus Energie. Schmerz schoss und wirbelte durch seine Meridiane in heftigen, abgehackten Stößen aus Hua. Seine sieben Energiepunkte drehten sich langsam und die silbernen Pfade dazwischen waren mit dickem schwarzen Schlamm verstopft. Ich sah genauer hin: Alle Punkte – vom roten Steißbein bis zur purpurnen Schädeldecke – drehten sich in die falsche Richtung. Das hatte ich bereits bei Dillon erlebt.
Ido benutzte Gan Hua .
Ryko, Dela und Vida spannten sich in ihrer Ecke an, und Hua floss in blendenden Silberströmen durch ihre durchscheinenden Körper. Sie konnten den Spiegeldrachen über sich nicht sehen und auch seine Macht nicht spüren, doch für mich strahlte seine pulsierende Energie wie eine kleine Sonne und zehrte die Schatten der nasskalten Zelle auf. Der Drache richtete die anderweltlichen Augen auf mich und ich spürte, wie mein Hua zu seiner mächtig schimmernden Präsenz hinstrebte. Der geschmeidige Hals streckte sich mir entgegen, und in der goldenen Perle unter dem Kinn loderten Flammen. Der Geschmack nach Zimt breitete sich in meinem Mund aus und seine warmherzige, freudige Einladung trieb mir die Tränen in die Augen.
Aber ich konnte sie nicht annehmen. Noch nicht.
Ich löste meine Aufmerksamkeit von seiner strahlenden Schönheit und konzentrierte mich auf den Rattendrachen, der eingezwängt und mit gebeugtem Kopf in der nordnordöstlichen Ecke kauerte und mit bleichen Flanken mühsam atmete. Die Macht, die von ihm ausging, war bitter und düster, eine trübe Energie, die Inseln aus Dunkelheit bildete in den hellen Farben, die von meinem Drachen ausströmten.
Lord Ido? , rief ich lautlos. Seid Ihr da drin?
Das Tier hob langsam den Kopf. Seine großen Augen waren nicht unergründlich tief wie die des Spiegeldrachen. Sie waren bernsteingelb und umwölkt von Schmerz.
Es waren Idos Augen.
»Bei den Göttern, Ihr seid tatsächlich in Eurem Tier!«, sagte ich.Vor Schreck hatte ich mit lauter Stimme gesprochen. »Wie ist das nur möglich?«
Eona . Idos heisere Geiststimme klang ungläubig. Was macht Ihr hier?
Ich schob mein Erstaunen beiseite und antwortete ihm von Geist zu Geist. Ich bin gekommen, um Euch zu heilen.
Um mich zu heilen?
Ja, aber ich brauche Eure Hilfe. Die anderen Drachen werden kommen und ich kann sie nicht im Zaum halten. Ihr müsst sie für mich abwehren, wie Ihr das schon einmal getan habt. Im Fischerdorf.
Idos Drachenaugen begegneten meinem Blick und die menschliche Verschlagenheit, die plötzlich darin lag, passte nicht recht zu dem grimmigen blauschuppigen Kopf und zu den Reißzähnen im Maul. Warum nehmt Ihr diese Gefahr auf Euch? Was wollt Ihr?
Trotz der Folterungen war sein Verstand noch genauso scharf wie früher.
Ich will, dass Ihr mich unterweist .
Ahh. Der große keilförmige Kopf neigte sich langsam zur Seite. Und was bekomme ich dafür?
Ihr bekommt Euer Leben! Was wollt Ihr mehr? Doch etwas in mir bewunderte seinen Versuch, selbst diese furchtbare Lage zu seinem Vorteil zu nutzen.
Die schmale Drachenzunge schnellte hervor. Ich will noch etwas anderes.
Ihr habt keine
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