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EONA - Das letzte Drachenauge

EONA - Das letzte Drachenauge

Titel: EONA - Das letzte Drachenauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Goodman
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Hua, um mich zu bezwingen. Vielleicht habt Ihr doch Mumm genug, dem Pfad Eurer Macht zu folgen.«

15
    W ir verbrachten die ganze Nacht damit, uns aus der Stadt zu schleichen, und konnten dabei auf eine Kette von Unterschlupfen zurückgreifen, in denen wir mal nur ein paar Minuten, mal über eine halbe Stunde blieben, um den Patrouillen zu entgehen. Ich erinnere mich nur ganz verschwommen an dunkle Räume, schemenhafte Gesichter und dringliches Geflüster. Caido und sein Leutnant führten uns von einem Haus zum nächsten. Der Rest der Truppe ritt in entgegengesetzter Richtung durch die Stadt – tapfere Lockvögel für die unvermeidliche Suche nach uns.
    In einem Haus schlüpften Vida und ich in schlichtere Kleider und ich wusch mir die weiße Schminke vom Gesicht. In einer anderen Zuflucht – dem Stall eines ummauerten Familienanwesens – blieben wir so lange, dass wir eine Suppe essen konnten, die uns die glotzäugige Frau unseres Sympathisanten brachte. Inzwischen brauchten Ido und Ryko unbedingt etwas zu essen und eine Rast. Der Zwang, den ich über die beiden Männer ausgeübt hatte, hatte sie geschwächt und Caidos unerbittliches Tempo setzte allmählich uns allen zu.
    Die Frau stellte den eisernen Suppentopf auf den Boden und zog sich mit einer Verbeugung aus dem Stall zurück, die Augen auf Ido geheftet. Der saß zusammengesunken an der Wand gegenüber, so weit weg von den anderen mit ihrem hartnäckigen Misstrauen wie möglich. Statt der schlecht sitzenden Sachen des Wächters trug er nun die graubraune Hose und die dunkle Jacke eines Handwerkers, doch die Hose war zu kurz und Dela hatte die Ärmel abgerissen, damit Idos breite Schultern in die Jacke passten. Vielleicht war die Glotzäugige einfach nicht besonders beeindruckt gewesen von seinem Drachenaugenrang.
    Im schwachen Licht der Hoflaternen rührte Vida die Suppe um, schöpfte zwei Schalen voll und gab sie mir.
    »Sorgt dafür, dass er nicht zu viel isst.« Sie deutete mir mit Daumen und Zeigefinger eine kleine Menge an. »Sonst wird ihm schlecht.«
    Ido, so schien es, stand unter meiner Obhut. Nicht weil ich mir das gewünscht hatte – eher wohl, weil die anderen sich weigerten, etwas mit ihm zu tun zu haben. Ich machte ihnen das nicht zum Vorwurf. Selbst in ausgehungertem und erschöpftem Zustand konnte Ido sein Gift verspritzen. Seine Andeutung, ich sei sogar meinen Freunden gegenüber rücksichtslos geworden, verfolgte mich noch immer, als säße mir ein Bohrer im Kopf.
    Ich brachte die Schalen und hockte mich vor dem Drachenauge nieder. Er hatte den geschorenen Schädel in den Nacken gelegt und gegen die rohe Holzwand gelehnt; der Mond schien auf sein Gesicht mit den geschlossenen Lidern.
    »Suppe«, sagte ich.
    Er zuckte zusammen. Ich hatte ihn offenbar aus dem ersten Schlaf gerissen. Sein breites Gesicht wurde hart und gierig. »Essen?«
    Ich hielt ihm seine Portion hin. Ungeduldig legte er die langen Finger um die Schüssel, doch seine Hände zitterten so heftig, dass er sie nicht an die Lippen führen konnte. Er senkte den Kopf und schlürfte die Flüssigkeit.
    »Vida meint, Ihr sollt nur wenig essen, sonst müsst Ihr Euch übergeben.«
    Er verzog das Gesicht. »Das dürfte kein Problem sein. Ich bekomm ja nicht mal einen Mundvoll.«
    »Lasst mich die Schüssel halten«, sagte ich und griff wieder danach.
    »Nein.« Er biss die Zähne zusammen und hob die Schüssel ganz langsam, wobei ihm etwas Suppe über die Finger schwappte. Schließlich nahm er einen Schluck und lächelte in aufrichtiger Freude. Zum ersten Mal erlebte ich Ido ohne die Überheblichkeit, die seine Züge sonst verhärtete, und gleich wirkte sein Gesicht um Jahre jünger. Ich hatte ihn immer für viel älter gehalten als mich, obwohl Momo gesagt hatte, er sei erst vierundzwanzig, und wenn ich die Drachenkreise gezählt hätte, dann hätte ich sein wahres Alter gekannt. Wie konnte jemand im Geiste so altern? Die offensichtlichen Antworten waren Grausamkeit und Ehrgeiz. Aber vielleicht war es nicht möglich, die Wahrheit über den Geist eines anderen zu erfahren.
    Ich dachte an das schwarze Loch in Idos Kraftpunkt unter der Schädeldecke. So eine Lücke am Sitz von Einsicht und Erkenntnis beeinflusste seinen Geist gewiss ganz grundlegend. Und auch sein Herzpunkt war wieder geschrumpft. Empfand er also das Mitgefühl nicht mehr, das ich ihm aufgezwungen hatte?
    Ich nahm einen Schluck Suppe – der fade Geschmack wurde fast überlagert vom Gestank der in einem Pferch nebenan

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