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EONA - Das letzte Drachenauge

EONA - Das letzte Drachenauge

Titel: EONA - Das letzte Drachenauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Goodman
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ausgeprägten Muskeln schimmerten im Mondlicht. »Seht Euch vor, Mädchen. Dass Ihr ein Drachenauge seid, gibt Euch noch lange nicht das Recht, einen Kaiser beim Vornamen zu nennen – auch nicht einen gestürzten Kaiser.«
    Ich hob das Kinn. »Ich bin sein Naiso.«
    Idos dichte Brauen schoben sich über seinem hohen Nasenrücken zusammen. Ich presste die Lippen aufeinander und genoss sein Erstaunen, zugleich aber war ich gefasst auf seinen unvermeidlichen Spott.
    »Ihr seid sein Naiso? Sein Wahrheitsbringer?« Seine Schultern begannen in lautlosem Gelächter zu beben. »Dabei habt Ihr nicht einen einzigen ehrlichen Knochen im Leib.«
    »Kygo vertraut mir«, sagte ich und hoffte, mein Nachdruck werde ihn überzeugen. Und mich.
    Er senkte die Stimme. »Dann sagt mir doch: Habt Ihr ›Kygo‹ erzählt, dass königliches Blut und das schwarze Buch den Willen und die Macht eines Drachenauges binden können?«
    Ich zögerte, um ihm nicht die Genugtuung einer Antwort zu verschaffen.
    Er lächelte und überheblich wie früher zog er einen Mundwinkel hoch. »Das hatte ich auch nicht erwartet. Ihr seid vielleicht irregeleitet, aber Ihr seid kein Dummkopf.«
    »Ich habe es ihm nicht verschwiegen«, sagte ich zwischen zusammengebissenen Zähnen, leiser als zuvor – eine alte Gewohnheit, denn ich hatte zu viele Jahre mit zu vielen Geheimnissen gelebt. »Ich habe es ihm einfach nicht gesagt. Er würde es aber nicht gegen mich verwenden.«
    Ido schnaubte höhnisch. »Er ist von königlichem Blut und er will den Thron. Natürlich wird er es nutzen.« Er beugte sich vor. »Fragt Euch einmal, warum Ihr ihm nichts davon erzählt habt. Weil Ihr tief drinnen wisst, dass er eine Gefahr für uns ist!«
    Vor meinem geistigen Auge tauchte wieder der Moment auf, in dem Kygo mit von Ehrgeiz verhärtetem Gesicht auf das schwarze Buch an Dillons Handgelenk gestarrt hatte; das Buch enthielt so verführerische Schätze für uns alle – die Geheimnisse des Gan Hua , die Perlenkette und sogar das Wissen, wie man die zehn trauernden Drachen aufhalten konnte –, aber der Preis war sehr hoch: Wahnsinn und (wenn das Buch in die falschen Hände geriet) Versklavung.
    »Nicht Kygo ist die Gefahr«, erwiderte ich. »Sondern Sethon.«
    Ido lehnte sich zurück und ein kleines Lächeln spielte um seine Lippen. »Ihr belügt sogar Euch selbst. Und daran erkennt man einen Dummkopf.«
    Ich stand auf. »Ihr kennt Kygo nicht«, entgegnete ich. »Und mich auch nicht.«
    Ich drehte mich um und ging durch den ganzen Stall, denn mein Unbehagen trieb mich möglichst weit weg von Ido. Erst an der Tür blieb ich stehen, atmete die reinere Luft tief ein und kümmerte mich nicht um den neugierigen Blick, den Dela mir von einem nahen Heuballen aus zuwarf.
    Während ich mich beruhigte, kam mir langsam eine schlimme Erkenntnis. Ido hatte recht: Ich war ein Dummkopf.
    Er hatte mich gerade dazu gebracht, zuzugeben, dass wir als verbündete Drachenaugen gegen die Bedrohung aus königlichem Blut kämpften.
    Erst eine volle Stunde nach Sonnenaufgang näherten wir uns dem Treffpunkt in den Hügeln vor der Stadt. Die lastende Schwüle des Monsuns lag wieder in der Luft und drückte mir auf die Brust wie eine Hand. Oder vielleicht rührte meine Beklommenheit auch daher, dass ich Kygo wiedersehen würde. Ich fuhr mit den Fingern über die Lederschnur am anderen Handgelenk. Der darunter verborgene Blutring konnte mich nicht beruhigen. Körperlich waren wir kaum mehr als einen Tag und eine Nacht getrennt gewesen, doch ich hatte das Gefühl, als hätte sich zwischen uns ein Abgrund aufgetan. Wie Xan, der Dichter von tausend Seufzer, einst schrieb: Zu viele Zweifel wachsen in den Ritzen von Schweigen und Trennung.
    Caidos Leutnant ging als Kundschafter voraus und er kannte den Wald so gut, dass er sich unsichtbar und lautlos bewegte. Vor mir marschierte Ido zwischen Yuso und Caido. Obwohl er gebeugt ging vor Erschöpfung, war er einen Kopf größer als seine Bewacher und überhängende Äste zwangen ihn immer wieder, sich zu ducken.
    Wir schlängelten uns durch dichtes Gestrüpp und Yuso ließ den Blick über den ständigen Wechsel von Licht und Schatten im Unterholz schweifen. Hinter mir halfen Dela und Vida Ryko, denn der Insulaner war immer noch geschwächt davon, dass ich sein Hua benutzt hatte. Während unserer Flucht aus der Stadt hatten wir nur einmal kurz miteinander geredet. Ich wollte mich erneut entschuldigen, doch Ryko hatte mich am Arm gepackt und mir heiser zugeflüstert:

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