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Epicordia

Epicordia

Titel: Epicordia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Corzilius
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Eine Anspielung, die aus dem Mund jedes anderen eine Ahnung von
Charme versprüht hätte.
    Sofort nach seinem Verschwinden hatten sich Liza und
Patrick um ihre geschlagenen Freunde gekümmert, doch vor allem Lee hatte jede
Hilfe abgewehrt.
    Â»Edinburgh, Lara«, hatte er nur geächzt.
    Er hatte noch nicht einmal das Eintreffen Lord Hesters
abgewartet, sondern war aufgestanden. Die Haustür, durch die schon Ma’Haraz
geflohen war, nutzte auch er. Flink hatte er einen Schlüssel hineingesteckt und
sie aufgezogen.
    Lara McLane sah ihren
Freund dort taumelnd nach Edinburgh stolpern. Er verhielt sich wie ein
verwundetes Tier, das sich mit Schmerzen durch die Gegend schleppte – aber
möglichst allein, um nicht gesehen zu werden. Etwas durchfuhr sie. Lee war ihr
Halt, ihre Rettung. Sie sprang auf und griff ihrem besten Freund unter die
Schulter. Auch Liza fasste sich nun ein Herz und wollte helfen, doch Lara stieß
sie beinahe beiläufig zurück. Das war ihre Angelegenheit. Nur ihre. Zwischen
Lara McLane und Lee Crooks. Sie würden sich gegenseitig retten, wie es in den
Geschichten stand.
    Liza lamentierte wütend, doch es interessierte Lara
nicht. Sie zog die Tür zu und stolperte mit Lee hinaus auf das Pflaster der
Victoria Street.
    Und hier war es Lee wieder, der die Initiative
ergriff. Er schien in seinem Adrenalinrausch ebenso betäubt für alles andere
wie Lara nur kurz zuvor.
    Es war ein eigenartiger Augenblick, in dem es nur sie
beide gab. Lee Crooks und Lara McLane, beide mit ihren Verwirrungen und vor
allem mit ihren Schmerzen.
    Sie überquerten die Straße und schlossen die Tür zum
Schlüsselladen auf.
    Lee hastete zum Telefon, jenem uralten Apparat mit
Drehscheibe, und wählte eine Nummer.
    Â»Henry«, rief er ins Telefon. »Henry, schnell, komm in
die Victoria Street!«
    Stille.
    Â»Lara braucht dich! Jetzt !«
    Er legte auf, ohne eine weitere Antwort abzuwarten.
Lee kannte Henry gut genug, um zu wissen, dass der auch zu dieser späten Stunde
Himmel und Hölle in Bewegung setzen würde, um schnellstmöglich den Weg her zu
finden.
    Lara trat an Lee heran.
    Â»Danke«, hauchte sie.
    Ihr Blick fiel auf Lees Arm. Er sah grässlich aus. Die
Haut war schwarz und blutig, nässte und wellte sich, wo sie es nicht durfte.
Vorsichtig griff sie nach seinen Fingern.
    Krankenhaus. Lee musste ins Krankenhaus. Dringend. Sie
blickte zum Telefon.
    Lee entzog ihr den Arm.
    Â»Lass nur«, sagte er hektisch. »Ist halb so schlimm.
Irgendwer kriegt das schon wieder hin.«
    Lara wusste, dass er log. So sehr, dass sich die
Balken an der Decke des Ladens hätten biegen müssen. Wenn sie selbst schon den
Schnitt in ihrer Handfläche als äußerst schmerzhaft empfand, wie höllisch
musste erst Lees Arm wehtun?
    Sie sah ihm für den Bruchteil eines Momentes in seine
braunen Augen. Sprungbretter und Abgründe zugleich. Und von einem Sprungbrett
konnte man sich so wunderbar elegant in einen Abgrund stürzen …
    Doch der junge Amerikaner mit den wilden, rotbraunen
Haaren wandte sich schließlich ab und verschwand die Treppe hinauf. Sie
versuchte ihn am Hemdsaum zu fassen, doch er entwischte ihr einfach.
    Dieser heroische Dummkopf.
    Sie griff nach dem alten Telefon und wählte den
Notruf.
    Und erst jetzt merkte sie
erneut, wie schwer ihr alles fiel. Ihre Stimme bebte, überschlug sich, doch sie
brachte irgendwie alle wichtigen Informationen in ihrem kurzen Anruf unter.
    Sie hörte Lee für einige Sekunden oben poltern, dann
kam er wieder hinunter, eine Decke unter den gesunden Arm geklemmt.
    Â»Hier«, sagte er noch, während er die Treppe
hinunterglitt. »Die brauchst du –«
    Â»Du Blödmann«, schrie sie ihn unter Tränen an. »Du
bist verletzt.«
    Warum war es nur so schwer? Er war verletzt. Für ihn
durfte es jetzt nur den Krankenwagen geben, nichts sonst. Die Ärzte würden
schon dafür sorgen, dass ihr bester Freund und Schwachkopf seine Schmerzen
verlor …
    Â»Aber du bist auch
verletzt«, antwortete er ihr. Und sie wusste, was er meinte, und war gerührt
und panisch und wütend auf ihn und die Welt und auf alles andere.
    Â»Du bist wirklich verletzt, glaub mir, Lara. Viel,
viel schlimmer als ich.«
    Noch während er sprach, wurde seine Stimme schwach.
Auf der letzen Stufe knickte er um und fiel gegen das Geländer. Regungslos
blieb er auf dem Dielenboden

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