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Epicordia

Epicordia

Titel: Epicordia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Corzilius
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mit, was um sie herum geschah.
Zu groß war der ihr zugefügte Schmerz. Es war einer jener hilflosen Momente, in
denen es vollkommen egal gewesen wäre, hätte ihr Leben hier und jetzt auf der
Stelle ein Ende gefunden. Machtlosigkeit, absolute, umfassende Ohnmacht
übermannte sie. Als wären die Emotionen bloß Wasser in einem Glas gewesen, das
man umgestoßen hatte. Und nun rannen sie überallhin und rissen ihre Seele mit
sich fort.
    Sie wusste nicht einmal, ob sie weinen sollte. Oder
besser gesagt: Ob sie es überhaupt konnte. Die Fassungslosigkeit, der Schmerz,
der Schock … sie waren zu frisch. Sie klafften als riesige, ausgefranste Wunde
auf ihrer Seele und hatten sich bis in ihr Herz geschnitten.
    Gefühle sind wie ein Sturm.
    Nein, nicht wie ein Sturm, sondern wie das schlimmste
Unwetter der Welt. Ein Hurrikan, der einen verschont, solange man sich in
seinem ruhigen Zentrum befindet. Und das tat Lara McLane viel zu selten. Im
Gegenteil: Sie wurde vom äußersten Rand ergriffen und dort mit den Trümmern der
Wirklichkeit durch die Welt geschleudert.
    Lee bluffte, soviel spürte sie immerhin. Doch der
Bluff zeigte Wirkung – wenn auch nicht die erhoffte.
    Â»Möglich, dass du vor Geistern sicher bist«, sinnierte
Ma’Haraz. »Aber die junge Ms McLane ist es
ganz sicher nicht.«
    Ein schlanker Feuerstrahl schoss aus der Flammenwand
direkt auf Lara zu. Sie selbst wäre nicht imstande gewesen, überhaupt auf
irgendeine Weise zu reagieren. Doch Lee stürzte vor sie, den rechten Arm
ausgestreckt und das Amulett in der Hand.
    Und tatsächlich schluckte das Amulett die Flammen.
Doch ihre Hitze versengte Lee den Ärmel und die Haut. Stöhnend vor Schmerz biss
er die Zähne zusammen.
    Lara nahm es wie durch einen dumpfen Schleier zur
Kenntnis.
    Taub. Ihre Welt wirkte so taub.
    Der Flammenstrom versiegte. Lee kauerte vor Lara, am
Rande all seiner Kräfte. Mit einem heulenden Laut versuchte er, die verbrannte
Hand in einen flatternden Zipfel seines Hemdes zu wickeln.
    Drohend stand Ma’Haraz über den beiden geschlagenen
Teenagern.
    Â»Mach es dir selbst nicht so schwer«, sagte er, seine
Worte ruhig und bedächtig wählend. »Gib mir einfach die Kugel … und auch das
Amulett. Bitte!«
    Die Bitte hinterließ einen Funken von Irritation in
Laras Wahrnehmung. Und beim Anblick von Lees verletzter Hand begann sie, sich
gegen die Lethargie zu wehren, die Besitz von ihr ergriffen hatte. Denn so
durfte es nicht enden. Nicht hier, nicht jetzt. Und schon gar nicht durften die
Bösen gewinnen. Keine Geschichte, kein Film endete so.
    Rechts von ihnen erklang ein Geräusch, als würde
jemand eine Plastikflasche zerdrücken. Sie alle erschraken und starrten in die
Flammen.
    Ein Loch befand sich plötzlich in der Flammenwand,
groß wie eine Tür. Als hätte dort jemand ein Stück aus dem Feuer
herausgestanzt.
    Und ehe sie begriff, schossen zwei Ranken daraus
hervor, schlängelten sich um Ma’Haraz’ Beine und rissen ihn von den Füßen.
    Dann sahen sie Patrick, der durch das Loch stieg und
Lee half, sich aufzurichten. Hinter ihm drängte sich Liza durch die Feuerwand.
    Doch Lizas Efeuranken wurden von den Feuergeistern
zerfressen wie Papier und fielen schwarz und gekrümmt von dem dunklen Wahrsager
ab.
    Liza wollte nach Ma’Haraz treten, doch er war zu
schnell wieder auf den Beinen, hieb seinerseits nach ihr und wischte sie von
den Füßen.
    Â»Pah«, spuckte sie in seine Richtung, als sie auf der
Seite landete und sich sogleich auf die Ellenbogen stemmte. »Wo sind eigentlich
ihre dreckigen Akrobaten-Freunde?«
    Ma’Haraz hob die Hand und ein Flammenstrahl schoss auf
das Mädchen mit den Efeuhaaren zu. Doch das wich ihm blitzschnell mit einer
Rolle aus, um seinerseits wieder nach dem Wahrsager zu treten. Er blockte ab
und stieß es zurück.
    Â»Die verrotten nun wohl beide in Dismas«, rief er und fügte mit bitterem Sarkasmus in Lees Richtung hinzu:
»Danke übrigens auch dafür, Wahrsager-Lehrling.«
    Â»Hmpf«, schnaubte Lee.
    Erneut hob Ma’Haraz die Hand.
    Doch in dem Moment begann Patrick, eines seiner
Gedichte zu rezitieren:
    Â» Einst werde ich eine Dunkelheit
bringen
    und sie wird Lichtschein und Feuer
verschlingen. «
    Sofort erhob sich etwas
Dunkles, das die Flammenstrahlen, die aus Ma’Haraz Hand schossen, einhüllte

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