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Epicordia

Epicordia

Titel: Epicordia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Corzilius
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zerren.
    Wenn du nun weiterüberlegst, dass Elisabeth Joel und
Roland Winter beide Schreiber gewesen sind – und begabte Schreiber
obendrein –, was läge also näher, als zu vermuten, dass es Schriftstücke,
Geschichten, Verse gibt, die beide auf immer miteinander verbinden?«
    Lara versuchte den Gedanken ihres Großvaters zu
folgen, obwohl sie so schwer an ihr nagten. Es sollte also tatsächlich möglich gewesen sein, dass ihre Großmutter etwas mit
Roland Winter gehabt hatte?
    Â»Dass Roland Winter jedoch
dein leiblicher Großvater ist«, betonte Henry, »halte ich
für äußerst unwahrscheinlich. Immerhin ist Layla von einem sie liebenden Vater
aufgezogen worden.«
    Â»Der könnte es nicht gewusst haben«, warf Lara ein.
    Henry nickte.
    Â»Möglich. Aber woher sollte Ma’Haraz es dann wissen?
Glaubst du, jemand wie Roland Winter bezieht seine Lakaien in seine
Privatangelegenheiten mit ein?«
    Â»Aber was ist mit dem Bild, in dem er gefangen war?
Ich konnte ihn befreien, weil er mit mir verwandt ist. Weil er mein Vorfahr,
mein Großvater ist.«
    Â»Blödsinn«, wies Henry dieses Argument weit von sich.
»Ich habe dir doch gerade erzählt, zu was die Liebe alles in der Lage ist.
Jetzt könnte man natürlich anfangen zu spekulieren: Selbst wenn du seine
Enkeltochter sein solltest, kann es keine Liebe zwischen dir und Roland Winter
geben. Immerhin hätte er dich gnadenlos mit einem Fingerschnippen umgebracht,
wären Dexter und Lee nicht gewesen. Ohne mit der Wimper zu zucken, verstehst
du? Ich glaube also nicht, dass es so ist.
    Und noch etwas, auch deine
Mutter hat Winter ohne irgendein Anzeichen von Gewissen umgebracht. Kaltblütig.
Sie müsste demnach doch seine Tochter gewesen sein. Und das war eine ganze
Weile, bevor er in seinem Gefängnis aus Leinwand und Farbe völlig wahnsinnig
geworden ist.
    Und zu dem Bild an sich, tja, die Liebe kann vieles
bewirken. Zwischen dir und deiner Großmutter Elisabeth gab es ein solches Band
der Liebe, selbst wenn sie dir das in ihren letzten verwirrten Jahren nicht
mehr zeigen konnte, weil ihr Geist das nicht mehr zuließ. Aber bis zu dem Tage,
an dem Winter unsere Familie ausradiert hat, hat sie dich geliebt wie den
wertvollsten Besitz auf der ganzen Welt. Erst der Verlust von Layla hat sie in
ihre Apathie getrieben. Dass die Liebe, die deine Großmutter dir zuteilwerden
ließ, ausgereicht hat, um dem magischen Gedicht vor dem Bild eine Wirkung
abzugewinnen, halte ich für weit, weit mehr als nur wahrscheinlich.«
    Â»Du meinst also wirklich, dass Roland Winter nicht
mein Großvater ist?«
    Henry nickte energisch.
    Â»Ich denke«, schlussfolgerte er, »Ma’Haraz hat
geblufft. Und zwar nahezu perfekt. Du wolltest ihm wehtun und er hat
blitzsauber und sehr kreativ gekontert.«
    Lara blickte zu Boden. Ja, es schien beinahe so, als
hätte Ma’Haraz bloß ein grausames Spiel mit ihr gespielt. Schmerz konnte die
Menschen verändern, das wusste sie nun. Es gab keine helle und keine dunkle
Seite der Macht wie in Krieg der Sterne . Man konnte
nicht immer bloß an das Gewissen der Menschen appellieren, um sie zur Vernunft
zu bringen.
    Â»Und er hatte recht«, führte Henry aus, »das Ganze hat
dich eine Menge Nerven gekostet.«
    Lara nickte betrübt. Ja, so war es wohl.

    Die Nacht war
eine wichtige Tageszeit in Ravinia und somit auch für alle, die mit der
düstergoldenen Stadt zu tun hatten.
    Irgendwann hatte die Erschöpfung Lara in den Schlaf
gewiegt. Zusammengerollt war sie in einen tiefen Schlummer gesunken, ihre
Atemzüge gingen langsam und ruhig.
    Doch dann hatte sie etwas geweckt, sie an der Nase
gekitzelt. Behutsam, immer und immer wieder. So lange, bis Laras Geist nicht
mehr in der Lage gewesen war, das Kitzeln in ihre unruhigen Träume einzubauen,
und sie schließlich aufwachte.
    Eine Rabenfeder schwebte
vor ihr in der Luft. Ganz von allein. Kein unsichtbarer Faden hielt sie, kein
Lüftchen regte sich.
    Und wieder stieß die Feder behutsam herab, um sanft
über Laras Nase zu streifen und ihr durch die ungewohnte Berührung eine
Gänsehaut über die Schulter zu jagen.
    Endlich setzte sich die junge Schlüsselmacherin auf
und spähte durch den Raum. Sie war auf dem alten Sofa in Baltasars Wohnung
eingeschlafen. Jemand – vermutlich Henry – hatte sie mit der Fleecedecke
zugedeckt.
    Verschlafen rieb sie

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