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Epicordia

Epicordia

Titel: Epicordia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Corzilius
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war über und über bedeckt mit
Scherben, tellergroßen Scherben ebenso wie winzig kleinen.
    Die Wände waren behängt mit leeren Rahmen, ebenfalls
in allen Größen. Dort waren Spiegel gewesen. Viele Spiegel. Dies hier musste
ein Ausstellungsraum gewesen sein. Früher, bevor jemand alle Spiegel zerstört
hatte.
    Langsam traten sie in die Mitte des Raumes, versuchten
auf so wenig Scherben wie möglich zu treten, doch das war nicht machbar. Ab und
an konnte Lara erkennen, dass einst ein purpurner Teppich den Fußboden bedeckt
hatte – ganz im Stile der pompösen Ausgestaltung des Raumes.
    Â»Das ist –«, begann Lord Hester, brach den Satz
aber ab, noch während er ihn sprach.
    Â»Das waren alles Spiegel«, hauchte Lara. Ȇberall.«
    Lord Hester nickte nur.
    Plötzlich raschelte es hinter ihnen. Sie fuhren herum.
    Einer von mehreren aufgeschichteten Scherbenhaufen
bewegte sich. An der Seite fielen kleinere Scherben hinunter, purzelten
zwischen andere auf dem Boden.
    Dann erhob sich eine Handvoll Scherben, groß wie
Briefbögen, einfach so in die Luft. Ganz ähnlich wie die Rabenfedern Lord
Hesters. Sie schwebten auf Augenhöhe in einer Reihe nebeneinander. Dann
richteten sich scharfe Spitzen auf die beiden Besucher.
    Lara hielt den Atem an. Es sah beinahe so aus, als
wollten die Scherben sie im nächsten Moment erdolchen.
    Doch so weit kam es nicht.
    Aus Lord Hesters Ärmeln und Taschen strömten Dutzende
von Rabenfedern. Sie hefteten sich umgehend an die Scherben und zwangen sie in
eine andere Richtung oder ließen sie klirrend zu Boden fallen.
    Â»Jasper!«, rief Lord Hester. »Jasper, komm raus! Ich
bin nicht hier, um dir irgendetwas zu tun. Wir müssen reden.«
    Noch mehr Scherben erhoben sich rings um sie. Doch die
Federn, die Lord Hester schon auf die ersten Scherben losgelassen hatte,
drehten bei und zwangen der Reihe nach alle Glassplitter zu Boden.
    Â»Jasper!«, wiederholte der
Lord. »Was willst du damit bezwecken? Was auch immer du vorhast, dafür musst du
dir jemand anderen suchen.«
    Alle verbliebenen Scherben fielen abrupt herunter. So
wie Fliegen, die aufhörten, mit den Flügeln zu schlagen.
    Â»Besser so«, rief Lord Hester. »Und jetzt komm raus,
ich muss mit dir ein ernstes Wort reden. Ich denke, ich weiß, wer deine Spiegel
zerstört hat.«
    Hinter einem der hohen Spiegelrahmen trat ein Mann
hervor. Erst wollte Lara ihren Augen nicht trauen. Wie hatte sie ihn übersehen
können? Verflucht noch mal, der Raum war hell erleuchtet gewesen. Wie konnte
sich jemand einfach in einem menschengroßen Rahmen verstecken?
    Aber bald schon würde sie herausfinden, dass Jasper
einige sehr seltsame Dinge zu tun vermochte – selbst für jemanden, der Ravinia
kannte.
    Er mochte vielleicht mitten in seinen Dreißigern sein,
ein oder zwei Jahre älter wohl als Tom. Gekleidet in einen makellosen schwarzen
Anzug, zu dem sein blondiertes kurzes Haar nicht so recht passen wollte. Seine
blauen Augen blickten nervös und unsicher.
    Â»Lord … Lord Hester«, sagte er. »Ich … ich … äh …
hatte ja keine Ahnung.«
    Seine Stimme klang leise und er nuschelte ein wenig,
so als spräche er hauptsächlich zu sich selbst und nicht zu ihnen.
    Â»Jasper«, sagte Lord Hester erleichtert und ging auf
den Mann zu, um ihm freundlich die Hand zu schütteln. Sein Gegenüber schreckte
kurz zurück, ließ es dann aber geschehen.
    Â»Ich hatte schon das
Allerschlimmste befürchtet, als ich hier hereinkam und
diese Verwüstung sah«, eröffnete der Rabenlord ihm. »Aber wenigstens du siehst
unverletzt aus.«
    Â»Pah«, Jasper winkte ab. »Das Allerschlimmste ist ja
bereits passiert. Schauen Sie sich doch um, Lord. Schauen Sie!«
    Die letzten Worte hatte er beinahe geschrien.
    Eine Träne kullerte dem
gestandenen Mann aus dem Augenwinkel, etwas, das irgendwie gar nicht zu seinem
adretten Aufzug passen wollte.
    Â»Ich kenne dich«, sagte Lord Hester. »Du willst
Vergeltung, stimmt’s?«
    Jasper blickte ihn an wie ein trotziger, wütender
Junge.
    Â»Und Sie werden mir natürlich gleich erklären, dass
Rache kein besonders edler Weg ist.«
    Der Rabenlord schüttelte den Kopf.
    Â»Jasper, du bist ein erwachsener Mann. Ich kann dir
keine Vorschriften machen. Wenn du meinst, dass irgendeine Form von Rache
deinen Verlust

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