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Epicordia

Epicordia

Titel: Epicordia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Corzilius
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auf der Stelle inne, selbst die
mechanischen Diener.
    Einige Wimpernschläge lang herrschte angespannte
Stille in der Höhle. Laras Blick fiel endlich auf das merkwürdige Konstrukt in
der Mitte zwischen all dem Gerümpel. Es handelte sich um einen Thron, der
mehrere Meter hoch auf einem Sockel stand. Ein Thron aus Kabeln und Schläuchen,
so schien es. Maschinen ratterten leise durch das Schweigen und pumpten fleißig
schillernde Flüssigkeiten.
    Der mechanische Thron war derart monströs, dass der
Mensch, der darauf saß, ihr zunächst nicht aufgefallen war.
    Dabei handelte es sich um ihn ,
höchstpersönlich.
    Roland Winter.
    Laras größter Albtraum, der sie bis zum Wahnsinn
verfolgen konnte.
    Er war älter, als bei ihrer ersten Begegnung auf dem
Highgate-Friedhof und jünger als in der Erinnerung von Joshua Mendel. Irgendwo
dazwischen, mit noch nicht ganz ergrautem Haar und nicht allzu vielen Falten.
Doch die Gesichtszüge waren markant und genau dieselben. Es war verwunderlich,
dass er durch das ständige künstliche Altern und Verjüngen keine äußerlich
erkennbaren Schäden erlitt. Kein Zweifel, dieser Mann war der Graue Lord
Winter.
    Und Laras Welt erstarrte. Die Bindfäden des
Herbstregens gefroren zu spitzen Dornen.
    Die Schläuche des mechanischen Throns steckten in
seinen Armen und in seinen Beinen und in seinem Rücken. Wie ein ewig Kranker
schien er mit bloßem Oberkörper an diese Konstruktion gekettet zu sein. Starr
saß er da. Sie fixierend und düster, düster, düster.
    Ein Schuss zerriss die
beinahe vollkommene Stille um sie herum und Ruben Goldstein kollabierte
vollends. Während alles auf Winter starrte, hatte Myra Jones den verletzten
Ruben umgebracht. Kaltblütig. Einfach so.
    Â»Schluss, habe ich gesagt!«, durchschnitt Winters
Stimme alles und jeden im Raum.
    Ohne dass er auch nur eine erkennbare Handbewegung
oder dergleichen getan hätte, erhob sich Myra Jones in die Luft und verharrte
dort.
    Â»Was fällt dir ein, sich mir zu widersetzen, du kleine
wertlose Schlampe von einer Kommissarin?«, sprach Winter ruhig und beherrscht,
während sie vor ihm in der Luft schwebte. Doch was er in diesem Moment auch zu
tun gedachte, es war zu spät. Der Körper Ruben Goldsteins, des großen
Mechanikers mit dem verdorbenen Geist, der alles geschaffen hatte, durch das
sie sich bis hierher gekämpft hatten, lag mit verrenktem Hals am Boden.
    Aber Winter war jähzornig und rachsüchtig. Womöglich
immer schon gewesen. Seit seinen Jahren in dem verfluchten Gemälde war er es
auf jeden Fall. Die alten Meister hatten aus jemandem, den sie für ein Monster
gehalten hatten, ein noch viel grausameres Monster geformt, indem sie ihn
weggesperrt und über Jahre mit sich und seinem Verfall allein gelassen hatten.
    Myra Jones flog hoch hinauf und krachte gegen die Höhlendecke,
um von dort in die Tiefe zu stürzen. Schon beim ersten Zusammenprall mit dem
Stein hätte sie tot sein müssen, spätestens aber, als sie wieder auf dem Boden
auftraf.
    Doch Winter ließ sie ein weiteres Mal gegen die Decke
prallen. Und wieder schlug der Körper der Kommissarin auf dem Boden auf. Etwas
fiel neben sie. Es war ihr Arm.
    Lara starrte auf das schreckliche Schauspiel, das sich
ihr bot, völlig außerstande, irgendetwas zu unternehmen. Auch Geneva neben ihr
blieb starr vor Entsetzen.
    Und hätte Lara sich umgedreht, hätte sie in diesem
Moment auch den frisch eingetroffenen Patrick Davenport hinter ihr fassungslos
in die Knie gehen sehen.
    Ein weiteres Mal fuhr der Körper zur Decke.
    Immer mehr Teile fielen ab, mehrere Finger, ein Fuß.
    Schließlich blieb die leblose Kommissarin am Boden
liegen.
    Kein Blut war zu sehen, keine durchtrennten
Muskelfasern oder Gefäße.
    Zahnräder lagen dort, Speichen und Riemen. Und
Schrauben, Nieten und mechanische Gelenke.
    Wie war das möglich?
    Myra Jones – eine Mechanik? Aber sie hatte so lebendig
gewirkt all die Zeit. Sie hatte gesprochen, war zornig geworden, hatte … Rache
geübt.
    Auf der anderen Seite,
schoss es Lara durch den Kopf, hatte sie die Kommissarin niemals etwas essen
sehen. Und immerzu hatte sie diese albernen weißen Handschuhe und dicken Sachen
getragen. Immerzu. Sie hatte keine Körperwärme abstrahlen können und nicht
gewollt, dass es jemand bemerkte.
    Dann richteten sich alle Augen auf Roland Winter, der
auf

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