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Epicordia

Epicordia

Titel: Epicordia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Corzilius
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nur eine Frage, die Lee insgeheim an sein
unverschämtes Glück stellte: Gab es Leute, denen Ravinia verwehrt blieb?
Menschen, Kinder oder Jugendliche, die auch noch eine besondere Begabung für
die Dinge hatten, die sie am liebsten taten?
    Sicher, die meisten Paare verließen Ravinia für einige
Zeit, sobald sie Kinder bekamen, da es eine Übereinkunft gab, dass die
besonderen Talente der Kinder erst erwiesen sein sollten, bevor sie die Stadt
kennenlernten. Selten gab es Ausnahmen, bei denen sich darüber hinweggesetzt
wurde. Oft war es der Adel aus der Oberstadt, jene stolzen, alteingesessenen
Familien, die ihre Sprösslinge, oft schon bevor diese lesen konnten, gewissen
Tests unterzogen, um sie rechtzeitig in die Gesellschaft von Ravinia einführen zu
können. Zeit ließen sich meist die einfachen Leute, denen Status weniger
wichtig war und die wussten, dass sie unabhängig davon in Ravinia stets
willkommen sein würden.
    Doch was war, wenn es irgendwo ein Kind gab auf dieser
Welt, das zwar eines der besonderen Talente besaß, aber niemanden, der ihm von
Ravinia erzählte? Gab es ein größeres Unglück auf der Welt, als nicht mit dem,
was einem in die Wiege gelegt wurde, an seiner Bestimmung zu arbeiten?
    Lee hatte Glück gehabt – er hatte durch seine
träumerische Gabe einen Weg nach Ravinia gefunden. Nicht zuletzt, weil er im
richtigen Moment reagiert hatte.
    Â»Schicksal«, hätte Tom sicherlich gesagt.
    Lee hatte in Visionen von Lara und Tom geträumt, und
das Schicksal hatte ihm Lara im richtigen Moment in den Weg gestellt. So war er
nach Ravinia gelangt, war seinem tristen Leben im Waisenhaus entflohen und war
nun Lehrling in der düstergoldenen Stadt.
    Seine Begegnung mit Lara
McLane war der Moment gewesen,
in dem das Glück Lee Crooks geküsst hatte. Er hatte es einfach nicht mehr losgelassen. Und seitdem
schwelgte er darin.
    Restlos glückselig machte Lee übrigens der Umstand,
dass Wochenende war und er ausschlafen konnte. Lizzy hatte die Wohnung zwar
schon früh verlassen, da in den botanischen Gärten einige, sicherlich bissige,
Pflanzen ihrer Fürsorge bedurften, aber er selbst hatte wunderbar lange
geschlafen.
    Und er wusste außerdem schon, was er den restlichen
Tag über tun würde. Es war Sommerfest im Rondell, jener ehemaligen Wagenburg,
die hauptsächlich Wahrsager beherbergte. Er würde den alten Barker mit der
Mundharmonika begleiten, während dieser Johnny-Cash-Songs spielte. Doch zuvor
würden sie ein wenig üben und jammen.
    Sich das Wasser von der späten Dusche abrubbelnd,
entdeckte er ein erfreuliches, übrig gebliebenes Stück der Pizza, die Lizzy
gestern für sie bestellt hatte. Nachdem er sich angezogen hatte, stopfte er es
sich zwischen die Zähne, schnappte sich mit einer Hand seine alte, speckige
Lederjacke, während er mit der anderen einen
Schlüssel in die Wohnungstür steckte.
    Er drehte ihn und öffnete die Tür. Voilà. Die
düstergoldene Stadt lag vor ihm
    Das Wetter auf der anderen Seite war gut. Alles
deutete auf einen perfekten Tag hin. Er sprang auf das Kopfsteinpflaster und
rannte übermütig wie ein kleiner Junge durch die verwunschene Stadt in Richtung
Rondell.

    Verrückt.
    Ja, es war ein Tag zum Verrücktsein.
    Das Rondell war üblicherweise schon ein Ort, an dem es
von eigenartigen Gestalten nur so wimmelte. Doch gab man ihnen Grund zum
Feiern, gerieten sie völlig außer Kontrolle. Als Lee die äußeren Häuserreihen
passierte, erblickte er auch schon Heinz und Karla, zwei Gaukler aus Bayern,
und ihr fahrendes Klavier. Das fahrende Klavier sah weitestgehend aus wie ein
Klavier, auch funktionierte und klang es wie eines, doch war es zum leichteren
Transport auf Räder montiert worden. Den Hocker hatte man davor fixiert, sodass
man den spielenden Heinz ganz getrost während seiner Darbietung durch die
Gegend schieben konnte. Das wirklich Besondere an der Vorrichtung war jedoch, dass
sie ein massives, flaches Holzdach aus Bühnenbrettern hatte, die wiederum Karla
als Bühne diente, während sie Schuhplattler und diverse Stepptänze über dem
Kopf von Heinz zum Besten gab.
    Lee begrüßte Jackie, der angeblich ein Piratenkapitän
war und der seinen hölzernen Papagei sprechen lassen konnte. Jedoch fluchte der
Holzvogel meistens, und den Rest der Zeit war Jackie betrunken.
    Â»Hallo Jackie«, grüßte Lee im

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