Epicordia
Vorbeigehen und
überlegte, ob er den Papagei auch grüÃen sollte, wobei er jedoch gar nicht wusste,
wie der Vogel eigentlich hieÃ.
»Dreckspatz!«, keifte das hölzerne Federvieh jedoch in
diesem Moment, womit sich die BegrüÃung erledigt hatte.
SüÃliche Gerüche von
schwelenden Kräutern und exotischem Tabak lagen schwer in der Luft. An jeder
Ecke wurde getrunken â schimmernder Tee mit Zimt, pechschwarzer Kaffee mit
Kardamom, giftgrüner Absinth, kastanienbrauner Cognac, goldfarbener Whisky und
hausgemachte Limonade in allen Farben des Regenbogens.
»Lee Crooks!«, donnerte plötzlich eine Frauenstimme
durch das bunte Treiben. Wer den Ruf gehört hatte, hätte vermutlich eine eifer-
oder herrschsüchtige Ehefrau erwartet, die ihren Angetrauten zurechtwies.
Doch Lee, der zusammengezuckt war, wusste sofort, wem
die Stimme gehörte. Berrie, der Kreidefrau. Seiner Meisterin und Ausbilderin.
Er trottete auf dem
kürzesten Weg zu Berries Haus, auf dessen Veranda sie sich mit ihrer beinahe
nachtschwarzen Haut und den raspelkurzen Haaren über das mit mysteriösen
Kreidesymbolen vollgekritzelte Geländer lehnte.
»Was gibtâs?«, fragte Lee so unschuldig, wie es nur
eben ging.
Berrie fasste ihn scharf ins Auge.
»Lee Crooks«, zischte sie. »Du verdammter Kerl von
einem Wahrsager hast nicht aufgeräumt !«
Die letzten Worte hatten beinahe gedröhnt, so laut
hatte sie gesprochen.
»Ich dachteâ⦠ähâ⦠ich tue esââ¦Â«
»Ja?«
»Jetzt gleich?«, versuchte Lee es.
»Das will ich dir auch wirklich geraten haben.«
Sie schüttelte mahnend den Kopf, während Lee ins
Innere des Holzhauses huschte.
»Du wärst pures Gold wert, Junge«, tadelte Berrie
hinter ihm. »Wenn du nur ordentlich wärst.«
Berrie zog die Tür hinter sich zu und besah sich den
Versuchstisch, der neben ihrer ziemlich altertümlichen Küchenzeile aufgebaut
war. Er war mit kleinen und groÃen Kristallkugeln, zwei Flakons mit
zähflüssigen Inhalten und einer Art Edelstein, der in grünlichem Licht
strahlte, schon gut gefüllt. Daneben, drüber und drunter türmten sich jedoch
aufgeschlagene Bücher, Skizzen und
vollgeschmierte Notizzettel, als wäre ein wild gewordener Mathematiker
plötzlich von einer irren Schreibwut erfasst worden.
Während Lee eilig die Zettel zusammensuchte, sah
Berrie ihm über die Schulter.
»Was machst du da überhaupt?«, wollte sie wissen.
»Ach«, Lee tat, als ob es
unwichtig wäre. »Nur einige oneirologische Experimente.«
Berrie trat neben ihn und nahm eine der Kugeln in die
Hand. Sie schien mit einer Art dunklem Rauch gefüllt zu sein. Das Innere der Kugel wirkte beinahe wie schwarze Tinte.
Unnatürlich schwarz. Nachtschwarz.
»Ich frage noch mal deutlicher: Was
ist das?«, fragte Berrie nun strenger. Die Antwort, die Lee ihr gegeben
hatte, war alles andere als zufriedenstellend. Und selbst wenn ein Wahrsager
nie hundertprozentig alles verstand, was ein anderer Wahrsager tat, so gab es
doch eine Grundlage, die jeder von ihnen beherrschte und die es ihnen
ermöglichte, das meiste wenigstens zu erahnen.
»Einâ⦠ähâ⦠Traum«, erklärte Lee zögerlich.
»In dieser Farbe?«
»Es ist ein Albtraum.«
»Du hast einen Albtraum isoliert?«
»Genau.«
»Und wessen?«
»Keine Ahnung.«
»Du hast also keine Ahnung ,
wessen Albtraum du hier gefangen hältst? Noch dazu einen Albtraum, der nur andeutungsweise aussieht wie einer?«
»Ãhâ⦠ja, genau das wollte ich sagen.«
Berries Augen wirkten in ihrem dunklen Gesicht
manchmal wie zwei zuckende Geister. Besonders, wenn sie ihrem Gegenüber nicht
glaubte.
»Ich brauche nichts von iberischer Wahrsagerkunst zu
verstehen, um zu sehen, dass du mir nicht die ganze Wahrheit sagst.«
»Na jaââ¦Â«, wand Lee sich. »Es ist ein Experiment und
ich möchte erst sehen, ob es überhaupt funktioniert.«
»Hm«, machte Berrie.
SchlieÃlich gab sie ihm die düster wabernde Kugel
zurück.
»Also gut. Aber ich warne dich, Lee Crooks! Mach
keinen Unfug! Ich zieh dir das Fell über die Ohren, hörst du? Und ich bin sehr
kreativ, was das angeht.«
»Ja«, sagte Lee kleinlaut
und machte sich hastig daran, weiter Ordnung auf dem Tisch zu schaffen, während
Berrie
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