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Epicordia

Epicordia

Titel: Epicordia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Corzilius
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Lara nicht, um
zu wissen, dass mit ihm alles in Ordnung war. Sie lehnte ihre Stirn gegen seine
Schulter.
    Â»Oh Tom.«
    Sie spürte, wie er ihr unbeholfen die Hand auf den
Hinterkopf legte.
    Â»Ich weiß jetzt«, hörte sie seine Stimme dicht an
ihrem Ohr, »warum Ma’Haraz diese Kugel braucht.«
    Er stand auf und half auch Lara auf die Beine.
    Â»Sieh es dir selbst an!«, sagte er und nickte in
Richtung der Kugel.
    Erschrocken blickte sie auf.
    Â»Es tut nicht weh«, sagte er. »Aber es erklärt eine
ganze Menge.«
    Er blickte sich um.
    Â»Und Patrick?«
    Der Angesprochene sah leicht verwirrt drein.
    Â»Ja, bitte?«
    Â»Ich möchte, dass du es auch siehst.«
    Ohne ein Wort trat Patrick hinzu, ergriff Laras Hand.
    Â»Du musst das nicht tun«, flüsterte er.
    Doch Lara hatte die Kugel längst konzentriert ins Auge
gefasst. Wovor fürchtete sie sich? Es konnte nicht so schlimm sein. Ansonsten
wäre Tom der Letzte, der sie ermutigen würde, die Kugel zu berühren.
    Patricks Hand um ihre zu
spüren wirkte beruhigend. Vielleicht hatte sie ja nach so jemandem gesucht?
Jemandem, der einfach da war. Jemandem, der keine Worte verlor über
Nichtigkeiten, sondern einfach bloß dabei stand und ihre Hand hielt.
    So streckte sie Zeige- und Mittelfinger ihrer
verletzten Hand aus und legte sie an die nachtschwarze Kristallkugel.
    Es war ein trauriges, ja beinahe
erbärmliches Bild.
    Nachts in einer großen Stadt. Gelbe Lichter von
Laternen aus Beton erleuchteten Straßenzüge aus Beton vor Häusern aus Beton.
Die wenigen Pflanzen, die in kärglichen Gärten wuchsen, wirkten ein wenig
mediterran, ohne dass Lara hätte sagen können, woran es lag. Sie spürte keine
Temperatur, roch nichts, an dem sie dies hätte festmachen können.
    Lara begriff, dass sie in einer Erinnerung stecken
musste. Vorsichtig blickte sie sich um. Die meisten Ecken, Straßen und Häuser
lagen in absolutem Dunkel. Zwar gab es die Straßenlaternen mit ihrem gelblichen
Baustellenlicht, aber die einzige Helligkeit in der Erinnerung hatte ihr
Zentrum woanders. Ein kleiner Junge hockte mitten in dieser Nacht auf einem
Gehweg und stocherte mit einem Stock auf dem grauen Beton der Straße herum,
schubste dort einen Tennisball hin und her.
    Der Junge hatte einen stark südländischen Teint – warum
Lara dies mitten in der Nacht erkennen konnte, war ihr schleierhaft. Außerdem trug er einen Anzug, dessen
Hosenbeine an den Rändern schon staubig waren. Aus seinem ansonsten
kurzen schwarzen Haar wuchsen zwei lange Korkenzieherlocken – eine rechts und
eine links. Beinahe wirkten sie wie viel zu lange Koteletten. Er sah
unglaublich missmutig aus. Auch hatte er geweint – wieder eine Information, die
Lara einfach so besaß, ohne dass sie es im Gesicht des Jungen ernsthaft hätte
lesen können.
    Doch noch bevor Lara ihre
Gedanken sortieren konnte oder wusste, warum der Junge von zu Hause
fortgelaufen war – auf jeden Fall fühlte er sich ungerecht behandelt –,
geschah etwas: Der Ball rollte weiter auf die Straße als geplant und hinein in
den Rinnstein auf der anderen Seite. Dort haschte eine große, struppige Katze
danach und stieß ihn weiter.
    Der Junge – er mochte vielleicht sieben oder acht
Jahre alt sein – folgte dem Ball, dem einzigen Freund, den er in dieser Nacht
besaß.
    Doch die Katze fauchte ihn an – es war wirklich ein
überdurchschnittlich groß geratenes Exemplar. Und als er mit dem Stock nach ihr
stieß, schlug sie ihn zur Seite und fauchte erneut ganz fürchterlich.
    Tränen sammelten sich in
den Augen des Jungen, aber was nützte es ihm zu weinen? Seinen Ball würde er
durch Weinen alleine nicht zurückerhalten. Also schlug er mit dem Stock nach
der Katze. Getroffen zog sich das Tier zurück, lauernd, bösartig. Und als der
Junge sich bückte, um seinen Ball aufzuheben, sprang sie ihn an. Sie krallte
sich an seinem Rücken fest, von wo er sie abschüttelte, doch sie ließ nicht los
und biss ihn in die Hand, krallte sich in seinem Arm fest. Sie kratzte immer
und immer wieder. Blut lief dem Jungen über den Ärmel. Er schrie und weinte und
zeterte und wehrte sich nach Leibeskräften. Er warf das Tier ab und trat danach
– die Katze schlug zurück. Immer und immer wieder.
    Der Kampf der beiden war ungleich. Es war traurig, mit
ansehen zu müssen, wie der kleine

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