Epicordia
Menschen
vereinte?
Die Tür ging auf, ein Arzt betrat den Raum.
Hektisch stürzte der aufgelöste MaâHaraz auf ihn zu.
»Mr Mendel?«
»Sagen Sie schon«, bettelte der Angesprochene
sogleich, um Leben flehend. »Was ist mir ihr?«
»Ihrer Frau geht es gut«, erklärte der Arzt und senkte
den Blick. »Sie braucht jetzt viel Ruhe, wissen Sie. Aber das Kindââ¦Â«
Lara konnte beinahe hören, wie etwas in dem Mann
zerbrach, den sie gehasst und verdammt hatte für seine Boshaftigkeit. Nun sank
er auf die Knie. Starrte. Fassungslos, dem Untergang nahe. Auf den Lippen
kauend. Unfähig zu schreien. Ohnmächtig gegen alle höheren Mächte, die sich in
diesem schmerzhaftesten aller Augenblicke gegen ihn verschworen hatten.
Wieder ein Sprung, wieder eine Erinnerung.
Die Räumlichkeiten, in denen sie sich nun befanden,
kannte Lara. Zwar waren sie ihr nicht gerade bestens vertraut, doch sie wusste
immerhin, wo sie waren. Sie war schon einmal hier gewesen â und die Situation
war damals eine ganz ähnliche gewesen. Eine Art Vernehmung.
In einem überdimensionierten, holzvertäfelten Saal
waren etwa zehn throngleiche Stühle um eine Tafel in Form eines Us herum
gestellt. Dies war das Ratsgebäude von Ravinia. Von auÃen ein beinahe
palastartig anmutendes Gebäude, voller strahlender Eleganz. Doch auch schon bei
ihrem ersten Besuch war Lara unheimlich gewesen, wie düster alles von innen
wirkte. Alte Familienwappen und Banner hingen an den Wänden im Dunkel, dort wo
das Licht der schmalen Fenster nicht hinreichte.
Die Mitglieder des Rates saÃen auf den Stühlen und
tagten über viele Wichtigkeiten und Kleinigkeiten, die Ravinia betrafen.
Sie tuschelten miteinander. Offenbar war es die Zeit
zwischen zwei Sitzungen und Lara nutzte die Gelegenheit, um sie genauer in
Augenschein zu nehmen. Und tatsächlich kannte sie einige der Gesichter. Auch
wenn sie sie hier in einer sehr viel jüngeren Fassung sah. Wie viel Zeit mochte
wohl vergangen sein seit damals? Zwanzig Jahre? Fünfundzwanzig?
Sie erkannte Eusebius Lanchester. Ihr Zunftmeister
hatte viel mehr Farbe im Haar als zu Laras Zeit und es war länger und voller.
Offensichtlich hatte er damals schon das Amt eines Rates innegehabt.
Auch Mama Zamora hatte einen Sitz im Rat inne. Sie war
damals vielleicht Ende dreiÃig gewesen und es haftete noch unglaublich viel von der schlanken Zigeunerin an
ihr, die sie vielleicht vor noch einmal fünfzehn Jahren gewesen sein
musste, ohne Falten und mit weniger goldenen Zähnen.
Lara erkannte auch Milton St. James, dessen Leichnam
sie damals zu Gesicht bekommen hatte. Doch war der massige Mann unverkennbar.
Es schien Lara erschreckend, wie kühl und von
Ernsthaftigkeit zerfurcht die Gesichter der Räte aussahen. Nur bei einer Person
wunderte es sie nicht. Nicolaes, der niederländische Meister der Malerei, saÃ
fahl und unbarmherzig am äuÃersten linken Ende der Tafel. Noch mit einem ganz
gewöhnlichen Mund gesegnet, nicht dem zerknitterten Schlitz, mit dem Lara ihn
kennengelernt hatte. Aber seine grotesken Züge, die ihn später beinahe selbst
wie aus Papier gefaltet wirken lieÃen, waren schon im Ansatz zu erkennen.
Es klopfte.
Lara drehte sich um und sah, wie die schweren Türen,
durch die sie auch einmal hineingeführt worden war, aufschwangen.
Zwei Nachtwächter in roten
Roben eskortierten jemanden herein, den Lara durch diese ganze Bilderflut verfolgte:
MaâHaraz.
»Hoher Rat«, kündigte einer der Nachtwächter an. »Mr
Joshua Mendel, der sich auf Bitten des Rates hier eingefunden hat, steht nun
für Sie zur Verfügung.«
Joshua Mendel.
Lara lieà sich den Namen auf der Zunge zergehen. So
klangvoll war der grausame Mensch benannt, den sie bloà als den finsteren
Wahrsagermeister MaâHaraz kannte. Aber diese Erinnerungen bargen ohnehin eine
Menge Ãberraschungen.
Joshua Mendel trat vor. Er trug immer noch legere
Kleidung, nicht das Schwarz, das er wohl später angelegt haben musste.
»Hoher Rat«, grüÃte er die Versammelten.
Diese nickten ihm knapp zu.
Einer der Räte erhob sich.
Lara kannte sein Gesicht nicht, es war scharfkantig und
von langen grauen Haaren umrahmt, die auf seine schwarze Ratsrobe herabfielen.
»Joshua Mendel«, begrüÃte er den Eingetretenen mit
förmlicher, unaufrichtiger Höflichkeit. »Schön, dass Sie unserer
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