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Epicordia

Epicordia

Titel: Epicordia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Corzilius
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ihrem Besuch in der
hängenden Siedlungen angekommen. Zwischendurch hatte Patrick Toms Erklärungen
immer mal wieder ergänzt, vor allem dann, wenn Tom die richtigen Worte zu
fehlen schienen – Menschen, die wenig redeten, taten sich wohl ab und an schwer
damit, komplexe Sachverhalte in einfache Worte zu fassen.
    Lee hatte ihnen währenddessen heißen Tee gekocht und
jeweils mit einem Schuss von etwas versehen, das dort, wo Berrie herkam, Rum
sein mochte. Für Westeuropäer war es … ganz schön stark.
    Lara blickte sich um. Ein wild
durcheinandergewürfeltes Sammelsurium von Tassen stand vor ihnen auf dem
niedrigen Tisch, auf dem Lara vor Jahren schon einmal ein merkwürdiges
Fischgericht vorgesetzt bekommen hatte.
    Das Haus hatte sich wenig verändert. Es war lediglich
um eine Arbeitsfläche ergänzt worden, an der Lee seine Experimente durchführte.
Er selbst – hatte er Lara stets erklärt – hielt sich für nicht so besonders gut
in den alten Tugenden der Wahrsager wie dem schlichten Vorhersagen der Zukunft.
Ihn interessierten mehr die Zusammenhänge zwischen Träumen und Geistern und
noch vielen anderen schaurigen Dingen.
    Die Visionen, die Lee von Zeit zu Zeit heimsuchten,
passten dagegen eher in das Bild, das die
Welt von der Wahrsagerei hatte. Doch
Lee interessierten sie nicht. Im Gegenteil, er schien von ihnen
regelrecht genervt zu sein. Immerhin waren sie nicht ungewöhnlich für einen
Wahrsager. Und genau das schien der Hauptgrund zu sein, warum Lee sie nicht
mochte: Sie waren zu gewöhnlich, gehörten beinahe schon zum guten Ton der
Wahrsagerei.
    Auch Lees Arbeitsplatz war – wie der gesamte Rest des
Hausinneren sowie große Teile der Veranda draußen – mit mysteriösen Symbolen
und Schriftzeichen aus Kreide versehen. Berrie wurde allerdings auch niemals
müde, diese zu verändern oder auszutauschen. Ob nach Gutdünken oder weil ihr
möglicherweise ein besseres eingefallen war, würde wohl niemals jemand
erfahren.
    Nach einigen stillen Minuten des Nachdenkens sagte
Berrie schließlich: »Es tut mir leid, aber ich kenne außer Mama Zamora
niemanden, der euch wirklich helfen könnte. Wo sie sich aufhält, weiß ich
leider nicht. Manchmal bekommt sie für Monate niemand zu Gesicht.«
    Betretenes Schweigen breitete sich aus.
    Â»Dann können wir einpacken«, sprach Patrick aus, was
sie in diesem Augenblick alle dachten.
    Â»Nicht so schnell«, meldete sich Lee zu Wort, der sich
seit dem Ausschenken des Tees im Hintergrund
gehalten hatte. »Ich habe noch etwas erfahren, das uns vielleicht
weiterbringt.«
    Alle Augen richteten sich auf Lee.
    Der stand auf und eilte zu seiner Umhängetasche, die
an einem schiefen Garderobenständer hing. Er
holte etwas heraus, das in Zeitungspapier gewickelt war und das er nun
vorsichtig zu ihnen brachte.
    Da plötzlich fiel ein Schatten von der Decke auf den
Tisch. King Kong, das mechanische Äffchen, quiekte entsetzt auf. Eine Gestalt
kickte Lee von den Füßen, woraufhin er fallen ließ, was er gerade noch in den
Händen gehalten hatte. Das Ding löste sich aus dem Zeitungspapier und kullerte
über den Boden. Eine Kristallkugel, düster und schwarz wie die Nacht in ihren dunkelsten Stunden, rollte quer über die
Dielenböden von Berries Haus. Die Gestalt hastete danach, bückte sich,
um sie aufzunehmen, berührte sie – und brach zusammen.

    Manchmal ereignen sich eigenartige Zufälle,
die man durchaus auch als Schicksal bezeichnen könnte. Denn hätte sich die
nachtschwarze Kugel nicht aus ihrem Zeitungspapier gewickelt, hätte die Gestalt
sie ohne Weiteres und vor ihrer aller Augen stehlen können. So allerdings war
der Dieb zu Boden gegangen. Lee hatte sich schließlich am schnellsten von
seinem Schock erholt und sich auf den Eindringling gestürzt, während die
anderen noch die zuckende Gestalt angestarrt hatten. Doch als Lee erkannt
hatte, wen er da gepackt hielt, war ihm schlicht die Luft weggeblieben.
    Schließlich war Bewegung in die Gruppe gekommen und
sie hatten Kabelbinder benutzt, um ihren benommenen und ungebetenen Gast zu
fesseln.
    Es war Jacob Skinner, der Harlekin, Gaukler und
Akrobat, der nun an einen der Stützbalken gelehnt dasaß und zu ihnen
hinaufblinzelte.
    Â»Ich fasse es nicht«, empörte Lee sich, als der
unmaskierte Harlekin wieder aufnahmefähig
schien. Er hatte

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