Epicordia
Blindheit und
Ãberheblichkeit ein Stadtrat von Ravinia in der Lage war, fühlte sie sich in
dieser Hinsicht äuÃerst ernüchtert.
»Was denn? Glaubst du, wenn Tom Truska dahergelaufen
kommt und von den Sturmbringern unten in Epicordia faselt, geschieht
irgendetwas? Das Thema Epicordia hat viel zu viel
Brisanz. Der Rat würde endlos debattieren und Tom mit Luftblasen abspeisen.«
»Aber was wäre«, warf Tom ein, »wenn nicht ich vor den
Rat treten würde, sondern jemand mit mehr Einfluss?«
»Und wer sollte das sein?
Jemand von uns? Ich bitte dich. Selbst wenn mit Berrie, dir und mir gleich drei
Meister vor den Rat träten â was würde das für einen Unterschied machen?«
So unfair es in ihren Ohren klang, musste Lara sich
doch eingestehen, dass Alisha möglicherweise recht hatte.
»Lord Hester«, rief Tom.
»Pah«, machte Alisha. »Wie willst du das denn anstellen?«
»Zufällig ist er mein Freund und Vermieter«, erklärte
Tom.
Alisha schaute drein, als ob Tom gerade die Gesetze
der Schwerkraft für nichtig erklärt â und obendrein behauptet hätte, Maulwürfe
säÃen auf Wolken und würfen mit Kokosnüssen. Auch Patrick hatte innegehalten
und schaute leicht irritiert über sein Notizbüchlein hinweg.
» Vermieter ? Hast du gerade Vermieter gesagt?«
Tom zuckte mit den Schultern.
»Hab ich. Ich wohne auf der Burg.«
Innerhalb von Sekunden hatte Alisha sich wenigstens so
weit wieder unter Kontrolle, dass sie nachhaken konnte.
»Auf der Burg? Bei Lord Hester?«
»Ja.«
Sie sah immer noch aus, als könnte sie nicht glauben,
was Tom da erzählte. Für die allermeisten schien es völlig unmöglich, dass noch
jemand auÃer Lord Hester auf der Burg leben könnte. Gut, Tom posaunte solche
Dinge nicht heraus, aber er redete ja auch im Allgemeinen nicht viel. In diesem
Moment fragte Lara sich nicht zum ersten Mal, wie Tom überhaupt an die
eigenartige Behausung gekommen war, die er im Torhaus der Burg innehatte.
SchlieÃlich brachte Alisha nur hervor: » Okay .«
Und damit war der
Beschluss gefasst. Sie würden Lord Hester um Hilfe bitten.
8. Kapitel, das in das traurigste Haus der Welt führt.
Könnte ich Verwirrung in
Flaschen abfüllen und tausend Jahre davon trinken, es wäre mir nicht vergönnt,
so viel Unruhe zu stiften, wie du es zwischen dem Aufwachen und dem Frühstück
vermagst.
 Scott Lynch
Fühlt man sich erst auf dem Zenit der
Ereignisse, getragen auf der Woge des unsicheren Tatendrangs, ist es ebenso
schwer wieder von ihnen abzulassen.
»Wir sollen was ?«, fragte
Lara ein weiteres Mal ungläubig, nachdem der Rabenlord es ihr nun schon zwei
Mal geduldig erklärt hatte.
»Lenkt euch ab!«, gemahnte er. »Sammelt eure Kräfte.
Ihr werdet sie brauchen. Bis morgen gibt es nichts, was ihr tun könnt.«
Lara sah ihn an, wie er dort stand, gewandet in seinen
blauen Mantel, den Kopf bedeckt mit einem ebenso blauen Zylinder. Auch jetzt im
Sommer, wenn manche Tage so warm waren, dass man an deren Ende nur noch
unbändigen Durst verspürte, trug er diese Kleidung. Lara würde es nicht wundern,
wenn auch Tom eines Tages seinen schwarzen Mantel nicht mehr ablegen sollte. Er
schien einen ähnlichen Hang wie der Rabenlord zu haben, auf eigene Art und
Weise ein wenig abseits der Welt zu stehen, die ihn umgab. Aber wie sollte sie
das schon beurteilen können? Sie wusste nicht, was die beiden kleinen, aber
gütigen weisen Augen des Lords schon gesehen hatten. Und woher dieses
Zuversicht verheiÃende Lächeln kam, das ganz sachte seine Mundwinkel umspielte,
dort, wo sein üppiger und vollkommen altmodischer Backenbart ansetzte.
Sie waren zu viert den Weg hinauf zur Burg
gekommen, nachdem sie Jacob Skinner schlieÃlich ungerührt den Nachtwächtern
übergeben hatten. Voller Ehrfurcht hatten Patrick und Alisha die beiden
Schlüsselmacher mehrere Male gefragt, ob es denn auch tatsächlich rechtens sei,
wenn sie sie zu Lord Hester begleiteten. Lara hatte sich zunächst darüber gewundert, ihre Ãberraschung jedoch schnell verworfen:
Auch wenn sie mit Tom auf der Burg wohnte, so bekam sie den Lord selten
zu Gesicht. Nur hin und wieder trafen sie sich doch und Lord Hester hatte stets
einige freundliche Worte und ein aufmunterndes Lächeln parat. Doch für die
meisten anderen Bewohner Ravinias war Lord
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